Aleksej Gudz’-Markov Domongol’skaja Rus’ v letopisnych svodach V–XIII vv. [Die vormongolische Rus’ in den Chroniken des 5. bis 13. Jahrhunderts]. Izdat. Veče Moskva 2008. 446 S., Abb. = Tajny zemli russkoj. ISBN: 5-9533-0668-7.
„Geheimnisse des russischen Landes“, wie der zugehörige Reihentitel verheißt, deckt dieses Buch nicht auf, im Gegenteil. Es handelt sich um eine auf Ereignisgeschichte konzentrierte, chronologisch-dichte Nacherzählung der Chronikberichte über die Rus’ von ihrer Entstehung bis zum Vorabend des Mongolensturms. Die Darstellung bleibt an der Oberfläche der Geschichte, größere Zusammenhänge werden nicht reflektiert, die Chronikberichte, selbst Zahlenangaben, werden weitgehend unkritisch wiedergegeben, nicht einmal die verschiedenen Chronikredaktionen wurden unter die Lupe genommen und etwa auf das politische Verständnis der Mönchschronisten hin befragt (so etwa die religiöse Überhöhung der fürstlichen Märtyrer Boris und Gleb). Gudz’-Markovs Verständnis der Kiever Rus’ ist anachronistisch. Schon die Rus’ Vladimirs des Heiligen im ausgehenden 10. Jahrhundert erscheint ihm als „mächtiger Staat“. Für das 12. Jahrhundert postuliert er die Existenz eines russischen Nationalcharakters und einer gesamtrussischen Identität. Dies zeigt bereits, dass er die Kiever Rus’ ganz selbstverständlich aus nationalrussischer Perspektive wahrnimmt. Kurze Exkurse über Kultur, Handel und Gesellschaft finden sich zwar eingeflochten, bleiben aber rudimentär-vordergründig. So verlegt der Verfasser beispielsweise die Entstehung des Städtewesens bereits in das 8. bis 10. Jahrhundert. Selbstverständlich wird der Terminus und die Genese der Rus’ „russisch“ interpretiert; die Waräger sind spät gekommene Fremdlinge, eigentlich nur gemietete Söldner; von den kontroversen Diskussionen über Rus’ und ruotsi hat der Autor keine Ahnung.
Selbst den Anspruch einer populärwissenschaftlichen Darstellung löst dieses Buch nicht ein, fehlt doch sogar eine rudimentäre Bibliographie. Brauchbar wäre es allenfalls für die Unterstufe der Schule, wenn es dafür nicht zu trocken und mit Daten übersättigt wäre. Ein gelegentlich pathetischer Ton und Abbildungen von Gusstiegeln und Schmuckformen reichen kaum, um ihm den nötigen Reiz zu verleihen. Da die auf Ereignisgeschichte fokussierte Darbietung vor allem dynastische Konflikte, Fürstenfehden und territoriale Veränderungen widerspiegelt, vermag sie wenigstens diesen Teil der Geschichte – wenn auch oberflächlich – abzudecken. Verdienstvoll sind die Abbildungen mit der Rekonstruktion einzelner Stadtansichten der Kiever Zeit. Karten, die man angesichts der häufigen territorialen Veränderungen zur Veranschaulichung dringend benötigt hätte, fehlen jedoch. Alles in allem: ein höchst überflüssiges Buch, das in einer Auflage von 5000 Exemplaren unter das Volk gestreut, aber schwerlich gelesen werden wird.
Carsten Goehrke, Zürich
Zitierweise: Carsten Goehrke über: Aleksej Gudz’-Markov Domongol’skaja Rus’ v letopisnych svodach V–XIII vv. Izdat. Veče Moskva 2008. = Tajny zemli russkoj. ISBN: 5-9533-0668-7, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 2, S. 279: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Goehrke_Gudz_Markov_Domongolskaja.html (Datum des Seitenbesuchs)