Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), H. 2, S. 343-344

Verfasst von: Klaus-Peter Friedrich

 

Michael Zok: Die Darstellung der Judenvernichtung in Film, Fernsehen und politischer Publizistik der Volksrepublik Polen 1968–1989. Marburg/Lahn: Herder-Institut, 2015. 328 S., 1 Tab. = Studien zur Ostmitteleuropaforschung, 34. ISBN: 978-3-87969-387-0.

Im vergangenen Jahrzehnt gab es mehrere neue Anläufe, kurz- und längerfristige Auswirkungen des nationalsozialistischen Judenmords auf die Gesellschaft Polens und das polnisch-jüdische Verhältnis besser zu verstehen. Eine Möglichkeit, sich dem Thema zu nähern, sind erinnerungs- und massenkulturelle Studien zu dessen Repräsentationsformen in den Jahrzehnten nach 1945 (siehe dazu bereits die große Arbeit von Hannah Maischein über Augenzeugenschaft, Visualität, Politik. Polnische Erinnerungen an die deutsche Judenvernichtung. Göttingen 2015).

Michael Zok konzentriert sich in seiner am Marburger Herder-Institut entstandenen und an der Gießener Universität im Jahr 2013 verteidigten Dissertation auf das Massenmedium Fernsehen, das sich gerade in dem Untersuchungszeitraum als „beliebteste Freizeitbeschäftigung“ (S. 147) der Polen durchsetzte. Der Verfasser analysiert mehrere Dutzend im Fernsehen ausgestrahlte Dokumentar- und Spielfilme, blickt auf ihre narrativen Konstruktionsprinzipien sowie auf Bilderwelt und -symbolik, wobei er für 21 von ihnen auch die Sendetermine auflistet (S. 317–319). Hierdurch lassen sich in Polen gängige Einstellungen im Rückblick auf den Judenmord und dessen Begleiterscheinungen nachvollziehen und auch zu aktuellen Einflüssen – (innen)politischer oder äußerer Art – in Beziehung setzen. Der Verfasser arbeitet zudem die Vorgaben einer von den kommunistischen Machthabern bestimmten Gedenk- und Erinnerungskultur heraus, und er schildert, auf welche Weise sie durch die Medien vermittelt wurden. Deren Wechselverhältnis wird besonders dann augenfällig, wenn es in Bezug auf das „Meisternarrativ“ – das dominierende Geschichtsbild – zu Übertretungen, ja Brüchen kommt. Daher wird in dieser Untersuchung solchen Ereignissen besondere Bedeutung beigemessen, die in der polnischen Gesellschaft heftige Reaktionen hervorriefen. Dabei wird die Entwicklung des sich im Alltag etablierenden, die Massen leitenden Mediums Fernsehen geschickt mit dem thematischen Anliegen dieser Studie verschränkt.

Entsprechend hat Zok neben der Überlieferung der polnischen Kommunisten im Archiv Neuer Akten vor allem Materialien aus dem Archiv der Telewizja Polska benutzt: zeitgenössische Filmkritiken und -debatten und nicht zuletzt Zuschriften von (einfachen) Zuschauerinnen und Zuschauern. Auf dieser Grundlage lassen sich Filmschaffen und Fernsehen als Ort der Aushandlung und der Kommunikation des Erinnerungsdiskurses und seiner stetigen Wandlung begreifen.

Zok unterscheidet Konjunkturen des Erinnerns von Phasen der Marginalisierung der Erinnerung, die jeweils von verschiedenen politischen, gesellschaftlichen sowie übernationalen Faktoren beeinflusst wurden und in den Medien Polens zum Ausdruck kamen. Für die siebziger Jahre sieht er die Erinnerung an den Rand gedrängt, ehe sie – von außen beeinflusst: durch die Auseinandersetzung um die Serie Holocaust und um Claude Lanzmanns Dokumentarfilm Shoah – in eine Wiederentdeckung des so genannten jüdischen Themas (tematyka żydowska) im letzten Jahrzehnt der Volksrepublik Polen mündete. Mit dem Ende des „kommunistischen Meinungs- und Deutungsmonopols“ (S. 278) war eine erinnerungspolitische Neuausrichtung verbunden, die bis heute anhält. Das Fernsehen diente in jenen Jahren mal als Hemmschuh, mal als Initiator einer gesellschaftlichen Debatte um die Erinnerung an den Judenmord. Wenngleich sich über die Entscheidung, den Dokumentarfilm Shoah im Polnischen Fernsehen zu zeigen, keine Archivdokumente ermitteln ließen, so ist doch davon auszugehen, dass dessen erwartbare einhellige und teils wütende Ablehnung vonseiten der polnischen Gesellschaft einen Schulterschluss zwischen der kommunistischen Partei und den Beherrschten herbeiführen sollte. Nur retrospektiv tritt dieser Film – so Zok – „als ein erster Umkehrpunkt im Diskurs um das polnisch-jüdische Verhältnis“ hervor, denn der Anstoß wurde von anderen aufgenommen und „weitergetragen“ (S. 275–276).

Der Verfasser kommt zu dem Schluss, dass das Medium Film in erster Linie das Leiden der polnischen Nation kommunizierte. Jüdische Figuren waren „eine Randerscheinung“, traten gemeinhin bloß als „Außenstehende“, ohne eine „tiefer gehende Charakterisierung“ auf. Zur gleichen Zeit war die Darstellung der deutschen „Täterfiguren“ von eindimensionaler „Dämonisierung und Pathologisierung“ gekennzeichnet (S. 269). Beides erwies sich als kein guter Nährboden für eine differenzierende, multiperspektivische Sicht der Besatzungsjahre 1939–1945, die auch die moralischen Grauzonen und Ambivalenzen zugelassen hätte. Problematisch ist dies insofern, als trotz mittlerweile wiederholter öffentlicher Debatten die unter der kommunistischen Herrschaft geprägte Erinnerung in Bezug auf das polnisch-jüdische Verhältnis bis heute nachwirkt – nicht zuletzt unter den Parteigängern der nationalistischen Rechten. Ein Ausweg aus dem Erinnerungsdilemma scheint somit nur dann möglich, wenn man das allgemeine, erheblich mythologisierte polnische Geschichtsbild von den Besatzungsjahren ebenfalls thematisiert und kritisch aufarbeitet. Solche Bemühungen sind bislang freilich eher eine Domäne der Fachwissenschaft; in der Sphäre des Populären haben sie sich kaum niedergeschlagen.

Klaus-Peter Friedrich, Marburg/Lahn

Zitierweise: Klaus-Peter Friedrich über: Michael Zok: Die Darstellung der Judenvernichtung in Film, Fernsehen und politischer Publizistik der Volksrepublik Polen 1968–1989. Marburg/Lahn: Herder-Institut, 2015. 328 S., 1 Tab. = Studien zur Ostmitteleuropaforschung, 34. ISBN: 978-3-87969-387-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Friedrich_Zok_Die_Darstellung_der_Judenvernichtung.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2017 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg and Klaus-Peter Friedrich. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact jahrbuecher@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.