Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 62 (2014), 3, S. 450‒451

Verfasst von: Klaus-Peter Friedrich, Marburg/Lahn

 

Barbara Engelking: Jest taki piękny słoneczny dzień … Losy Żydów szukających ratunku na wsi polskiej 1942–1945. Warszawa: Stowarzyszenie Centrum Badań nad Zagładą Żydów, 2011. 289 S. ISBN: 978-83-932202-1-2.

Barbara Engelkings Studie ist entstanden im Rahmen eines Forschungsvorhabens zur Geschichte der Judenverfolgung im Generalgouvernement. Es sollte mehr Licht bringen in Umstände, die untrennbar verbunden waren mit dem problematischen Verhältnis der polnischen (nichtjüdischen) Landbevölkerung zu den Judeninsbesondere mit den Bemühungen, sie auf dem Land zu verstecken. Finanziert wurde dieses am Zentrum zur Erforschung der Verfolgung und Ermordung der Juden (Centrum Badań nad Zagładą Żydów) in Warschau angesiedelte Projekt, das dem Institut für Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften untersteht, unter anderem aus Mitteln derConference on Jewish Material Claims Against Germany“.

Um es vorwegzunehmen: Zu den mittlerweile zahlreichen Publikationen desZentrumsleistet Engelking einen weiteren vortrefflichen Beitrag, und sie setzt unter die Anstrengungen der vergangenen anderthalb Jahrzehnte, den nationalsozialistischen Judenmord in den polnischen Gebieten mit wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden wie zugleich mit Empathieauf angemessene Weiseanzugehen, einen gewissen Schlusspunkt.

Hier geht es in erster Linie um diejenigen Opfer, die im gesamten Schrifttum bislang entschieden zu kurz gekommen waren: jene große Masse der Rettung suchenden Juden Polens, der das Überleben nicht gelang und über deren Lebenswege wir daher vergleichsweise wenig wissen. Denn sie hinterließenanders als diejenigen, die das Ende der deutschen Besatzung erleben solltenkaum schriftliche Zeugnisse. Die in Polen und in Israel gesammelten Quellenannähernd 400 jüdische Berichte sowie Ermittlungs- und Gerichtsakten aus 300 polnischen Nachkriegsprozessendie darüber Auskunft geben, hat Engelking mit Bezügen zur Anthropologie und Psychologie gründlich ausgewertet.

Das Thema ist in zwei verschieden überschriebene Abschnitte aufgeteilt, in denen zum einen die Erfahrungen der Verfolgtenim Versteck, zum anderen ihrVerderbennachgezeichnet werden. Jedes der Kapitel, in denen Engelking die jüdischen Opfer auf den Stationen ihres Leidens Schritt für Schritt begleitet, wird mit einem Zitat aus den benutzten Quellen eingeleitet. Sie nehmen den Leser mit zur Aussiedlung, zur Flucht davor, zum Umherirren, dem in vielen Fällen ein elendes Vegetieren in Verstecken bei Bauern folgte. Nicht selten musste der Unterschlupf alle paar Tage gewechseltund dafür meist viel Geld gezahlt werden. Konnten die im Versteck Lebenden dies nicht mehr aufbringen, hörte die Hilfe im Allgemeinen auf, und sie wurden weggeschickt, hinausgeworfen, vor die Tür gesetzt. Ihre Notlage brachte manchmal einen erstaunlichen Einfallsreichtum hervor: Strategien eines stets gefährdeten Weiterlebens. Diese erwiesen sich freilich in den allermeisten Fällen als unzulänglich. Dennoch ist jedes Mal beeindruckend, mit welcher Energie Juden um ihr Auskommen kämpften und unbedingt durchhalten wollten.

Die anschließenden Kapitel handeln über diejüdischen Sachen, die bei Bauern verblieben, widmen sich den Gegenleistungen, die Juden für die Hilfe der Bauern erbringen mussten, und analysieren das Bild, das sich die Hilfesuchenden von den Bauern machten. Wie die deutschen Besatzer waren auch Polen darum bemüht, sich angesichts der Entrechtung der jüdischen Bevölkerung zu bereichern und daraus Gewinn zu ziehen. Manche quälten, vergewaltigten und ermordeten die ihnen Ausgelieferten selbst.

Im Mittelpunkt des zweiten Abschnitts steht das Lebensende der Verfolgten, das eingeleitet wurde mit Hetzjagden, Razzien oder der Auslieferung an die Behörden. Die drei abschließenden Kapitel beschreiben den nahenden Tod wieder aus der Erfahrungsebene der existenziell bedrohten Juden.

In den Befunden Engelkings wird einmal mehr deutlich, dass die ortsansässige polnische Bevölkerung die größte unmittelbare Gefahr für die Juden wie für diejenigen Polen darstellte, die Juden zu helfen versuchtenund eben nicht die deutschen Besatzer, die zahlenmäßig keineswegs in der Lage waren, das Leben auf dem Land effektiv zu kontrollieren. Dies hatte gravierende Folgen, denn aus ihrer sehr berechtigten Furcht vor Denunziation durch die Nachbarn verweigerte die breite Masse der auf dem Land lebenden Polen den Rettung und Zuflucht suchenden Juden ihre Hilfe und versuchte, sich davon fernzuhalten.

Die Autorin gelangt zu dem Schluss, dass Habgier der häufigste Grund für die Ermordung oder das Ausliefern von Juden an die deutschen Behördenoder die ihr unterstehende polnische Polizeiwar. Viele wurden von der Landbevölkerung abgewiesen oder umgebracht, weil man abschreckende Repressalien vonseiten der Deutschen befürchtete, sollten im Dorf sich aufhaltende Juden auffällig bzw. denunziert werden. Die Polizeikräfte führten wiederholt tödliche Strafexpeditionen durch, denen nicht nur Juden, sondern auch deren polnische Helfer und manchmal auch völlig unbeteiligte Nachbarn zum Opfer fielen. Mitunter erwies sich der Aufenthalt von Juden im Dorf als Bedrohung für geheime Unternehmen des polnischen nationalen Widerstands, da die Verfolgten die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich zogen, wodurch polizeiliche Durchsuchungen wahrscheinlicher wurden. Zudem stelltenJudenjagdenfür manche Bauern eine willkommene Abwechslung im ereignisarmen Alltag auf dem Land dar.

Angesichts der historiografischen Mystifikationen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten ist es ein ernüchterndes Ergebnis, dass es bei der Verfolgung und Ermordung der polnischen Juden offenbar eine weitaus größere Zahl polnischer Mitwirkender und Mittäter gab, als man sich in Polen bisher einzugestehen bereit war. Wenngleich auch viele Tausende Helfer und Retter von Juden aus Polen stammten, wirft dies einmal mehr die Frage nach den sozialen und moralischen Pathologien auf, die der Nationalsozialismus nicht zuletzt in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten in Gang gesetzt oder zumindest verschärft hat. Dazu dürfte das letzte Wort zumal vonseiten einer interdisziplinär ausgerichteten Wissenschaftnoch nicht gesprochen sein.

Der Autorin ist jedenfalls ein imponierendes, häufig beklemmendes und gegenwärtig kaum zu übertreffendes Panorama jüdischen Leidens, Bangens und Grauens unter der nationalsozialistischen Herrschaft im Generalgouvernement gelungen.

Klaus-Peter Friedrich, Marburg/Lahn

Zitierweise: Klaus-Peter Friedrich, Marburg/Lahn über: Barbara Engelking: Jest taki piękny słoneczny dzień … Losy Żydów szukających ratunku na wsi polskiej 1942–1945. Warszawa: Stowarzyszenie Centrum Badań nad Zagładą Żydów, 2011. 289 S. ISBN: 978-83-932202-1-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Friedrich_Engelking_Jest_taki_piekny_sloneczny_dzien.html (Datum des Seitenbesuchs)

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