Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), H. 4, S. 683-684

Verfasst von: Klaus-Peter Friedrich

 

Angelika Benz: Handlanger der SS. Die Rolle der Trawniki-Männer im Holocaust. Berlin: Metropol, 2015. 309 S., 14 Abb. ISBN: 978-3-86331-203-9.

Angelika Benz möchte in ihrer Dissertation der Geschichte der „Trawniki-Männer“ in den Jahren des nationalsozialistischen Judenmords auf den Grund gehen. Es geht also um die Handlungen jener 4000 bis 5000 Personen, welche die SS anfangs unter deutschen Kriegsgefangenen der Roten Armee auswählte oder – später – in der besetzten Ukraine rekrutierte. Sie wurden seit September 1941 dem „SS-Ausbildungslager Trawniki“ bei Lublin zugeführt und dort dazu angelernt, als Hilfspersonal bei Mordaktionen der SS zu dienen. Die Nationalsozialisten hatten ihren „fremdvölkischen“ Hilfstruppen eine Rolle als Handlanger bei weitreichenden Plänen für die totale Umgestaltung des eroberten Raums zugedacht. Diese beteiligten sich im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ als Helfer des SS-Personals in den Vernichtungslagern Bełżec, Sobibór und Treblinka sowie an der Vernichtung und Ausplünderung der jüdischen Stadtviertel und an der Deportation und Ermordung der Gettoinsassen. Einem Kampfeinsatz am nächsten kamen sie noch bei der sog. Partisanenbekämpfung.

Die Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Tätergruppe sind von der Forschung bislang wenig beachtet worden. Dies liegt zum einen daran, dass die SS in großem Umfang Akten vernichtete. Zum anderen ist ein beachtlicher Teil des Materials, das in der So­wjet­union gesammelt wurde, bis heute – in russischen Archiven verwahrt – nicht zugänglich. Selbst Kopien, die dem Office of Special Investigations in Washington übergeben wurden, durfte die Autorin nicht vollständig nutzen.

Außer den Restbeständen zeitgenössischer Dokumente verwendete die Verfasserin Materialien, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind: Vernehmungsprotokolle im Rahmen von Ermittlungen und Mitschriften von Gerichtsverhandlungen, in denen sich „Trawniki-Männer“ verantworten mussten, außerdem Äußerungen von SS-Angehörigen und von jüdischen Opfern über diese Gruppe. Im Ergebnis entsteht ein differenziertes Bild der in Trawniki Ausgebildeten zwischen „Überlebenshoffnung und Judenfeindschaft“ (S. 59), das in mancher Hinsicht den bisherigen Anschauungen widerspricht: Sie stammten aus unterschiedlichen Ländern und Regionen, hatten verschiedene Muttersprachen, auch war ihre Haltung gegenüber den deutschen Auftraggebern keineswegs einheitlich, ihre Beweggründe, ihnen weiter zu folgen, variierten; nur ein Teil fühlte sich ihnen zu Loyalität verpflichtet. Nicht wenige bemühten sich, ihrem Dienst durch Flucht zu entkommen. Die Verfasserin schildert die Funktion der meist sehr jungen, häufig orientierungslosen „Trawniki-Männer“ bei der „Aktion Reinhardt“. Hier nahmen sie eine Position zwischen ihren deutschen Befehlsgebern und Vorgesetzten und den jüdischen Opfern ein; „mindestens formell“ befanden sie sich auf der „Seite der Täter“ (S. 12).

Dankenswerterweise blickt Benz aber auf den Alltag und das Milieu, in dem sie ihr Handwerk verrichteten und Handlungsspielräume nutzten, seitdem die ersten Vorbereitungen für die „Aktion Reinhardt getroffen wurden: auf die alles überlagernde Gewalt, den Zwang von Befehl und Gehorsam, auf Sadismus, Brutalität und – seltener – Empathie. Letztere mochte zum Widerstand führen, zum Wunsch, die Pläne der Nationalsozialisten zu konterkarieren, zu wachsender Fluchtbereitschaft. Bei den jüdischen Aufständen in den Vernichtungslagern Sobibór und Treblinka schlossen sich einige „Trawniki-Männer“ den fliehenden Juden an, während „der Großteil […] auf deutscher Seite kämpfte“ (S. 246). Entsprechend wuchs gegen Ende der deutschen Herrschaft das Misstrauen der ‚Herren‘ gegenüber ihren Hilfswilligen.

Einer der in Trawniki ausgebildeten Hilfswilligen war der Ukrainer Ivan Demjanjuk (1920–2012), der zuletzt in München vor Gericht stand, weil er im Vernichtungslager Sobibór tätig war. Mit ihm vor allem befasst sich das letzte Kapitel über die unzulängliche bundesdeutsche Strafverfolgung nach 1945; die Ausführungen über Prozesse in den USA und in der Sowjetunion bleiben fragmentarisch. Quellen sowie Beiträge der Forschungs- und Erinnerungsliteratur, die nur in den Herkunftssprachen der „Trawniki-Männer“ vorliegen, werden in der Regel nicht berücksichtigt.

Die Studie von Angelika Benz ist die erste zu einem ethisch und juristisch schwer zu fassenden Sachverhalt. Sie steht in einer Reihe mit anderen Monografien über Kollaboration, (Mit-)Täterschaft und Schuld in Osteuropa unter der Herrschaft der Nationalsozialisten – und die Suche nach einer fairen strafrechtlichen Ahndung in den Jahren danach. Sie macht dabei nicht zuletzt deutlich, wie die SS es vermochte, Einheimische der eroberten Gebiete zu ihren Werkzeugen zu degradieren. Damit leistet sie auch einen wichtigen Beitrag zur Geschichte von Genozid und Gewalt im 20. Jahrhundert.

Klaus-Peter Friedrich, Marburg/Lahn

Zitierweise: Klaus-Peter Friedrich über: Angelika Benz: Handlanger der SS. Die Rolle der Trawniki-Männer im Holocaust. Berlin: Metropol, 2015. 309 S., 14 Abb. ISBN: 978-3-86331-203-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Friedrich_Benz_Handlanger_der_SS.html (Datum des Seitenbesuchs)

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