V. V. Denisov, A. V. Kvašonkin, L. N. Mala­šen­ko [u.a.] (Hrsg.) CK VKP(b) i regional’nye partij­nye komitety. 1945–1953. Izdat. Ross­pėn Mos­k­va 2004. 495 S. = Dokumenty sovetskoj istorii.

Bei dem zu besprechenden Werk handelt es sich um einen Band aus der Serie „Dokumente der sowjetischen Geschichte“, der ein hohes Verdienst bei der dokumentarischen Aufarbeitung der Stalin-Periode zukommt. Das Thema dieses Bandes erhält – wie die Herausgeber einleitend er­klären – seine historische Bedeutung aus zwei großen Problemkomplexen: Dies sind zum einen die Herrschaftsmethoden, mit denen das Zentrum die Regionen in der Zeit des Spätstalinis­mus leitete, zum anderen die zwischen 1945 und 1953 beobachtbaren Formierungstendenzen für die neue stabile Schicht von „Nomen­kla­tur“-Beamten, die das Land dreißig Jahre lang nach dem Tod Stalins leiten sollten.

Der erste Abschnitt der Publikation von insgesamt 170 Dokumenten ist der Kader-Kontrolle der Zentrale über die nachgeordneten Ebenen des Partei- und Wirtschaftsapparates gewidmet. Dem folgt ein zweiter Abschnitt mit Quellen zu den Säuberungen der regionalen Führungen. Ein dritter Teil enthält Memoranden und Gesuche von Führern der Republiken, Regionen und Gebiete (oblasti) an die Zentrale.

Die Anleitung der regionalen Gliederungen war im ZK-Apparat Sache des Organisations-Büros und des ZK-Sekretariats. Zudem wurden ZK-Instrukteure und Kommissionen der Partei- und Sowjetkontrolle in die Regionen zur Durchführung von Überprüfungen entsandt. Sie führten oft „organisatorische Konsequenzen“ herbei und waren nicht selten von Staatsanwälten begleitet. Es war ein verwirrendes Kompetenzenknäuel, das allein der Oberherrschaft Stalins diente.

Wichtiger noch für die Gewährleistung der Herrschaft der Zentrale über die Regionen war allerdings die Regulierung des Nomenklatura-Systems. Im Vergleich mit den Dreißigerjahren ist in der Nachkriegszeit deutlich weniger Repression aus politischen Motiven gegenüber dieser Funktionärsschicht zu beobachten. Nur die sogenannte „Leningrader Affäre“ (1949) mochte die Zeitgenossen zeitweise an die Epoche des Großen Terrors erinnern. Neben einer erklecklichen Zahl von Dokumenten zu diesem Fall werden auch weitere, z.B. über die „Mingrelische Affäre“ (Georgien) sowie weniger bekannte „Fälle“ solcher Art, veröffentlicht. Wenn sich insgesamt die Position der regionalen Führungskader weit stabiler ausnahm als in den Dreißigerjahren, diese jedoch keineswegs prinzipiell veränderte Verhaltensweisen gegenüber dem Zentrum zeigten, müssen die Ursachen für deren veränderte Behandlung offensichtlich bei der Haltung der höchsten Führung des Landes selbst gesucht werden. Stalin – so die Herausgeber – betrachtete im Unterschied zu den Dreißigerjahren die Fälle von „Regionalisierung“ der Funktionärsinteressen, von mangelnder Effektivität und von Missbräuchen durch Provinzfunktionäre nicht mehr als Bedrohung des Regimes, die radikale Entscheidungen notwendig gemacht hätten. Es waren daher relativ begrenzte Funktionärsgruppen, die in solchen Fällen von Kaderumsetzungen oder gar Repressionen betroffen waren. Diese „Mäßigung“ wird zum einen auf die Festigung zurückgeführt, die das Regime durch den siegreichen Krieg erfahren hatte, und zum andern auf die absolute Ergebenheit der seit den Dreißigerjahren aufgestiegenen Nomenklatura-Funktionäre, weswegen de­ren Vergehen bei dem alternden Führer nicht mehr den früher so verheerend wirkenden Argwohn hervorrufen konnten.

Eine solche Konstellation machte es möglich, dass sich allmählich horizontale, clanmäßige Strukturen und gegenseitige Beziehungen nach dem Patron-Klient-Muster herausbildeten und verfestigten. Das Wirken dieser Sozialbeziehungen trug zwar zu einer Stabilisierung der No­menklatura als Ganzes ebenso wie der Positionen der einzelnen regionalen Führungskader bei; in gewissem Maße erlaubte die Ausbreitung von Egoismus unter den Funktionären zugleich, dass die regionalen Überlebensinteressen, mit denen diese ihr Schicksal verbanden, besser als vor dem Krieg zum Tragen kamen. Zugleich war dieses System, in dem Kaderpositionen nach dem Kriterium vertikaler und horizontaler Loyalität statt nach Kompetenz besetzt wurden, unvermeidlich mit Verhältnissen verbunden, in denen die Funktionäre Fehler und Unterschleif gegenseitig deckten. Es kann gezeigt werden, dass von diesen Bedingungen jene Prozesse ihren Ausgang nahmen, die als „Ma­terialisierung“ politischer Macht und Nomenklatura-Privatisierung staatlicher Ressourcen während der letzten Periode der sowjetischen Geschichte allgemeine Geltung erhielten.

Die Dokumente in diesem Band sind in bewährter Weise über die notwendigen editorischen Anmerkungen hinaus mit Kommentaren ausgestattet, in denen auf weitere Archiv-Quellen Bezug genommen wird oder diese selbst ausführlich wiedergegeben werden. Hierzu ist auch das ausführliche biographische Glossar zu erwähnen, wie es ebenfalls in der Serie „Dokumente der sowjetischen Geschichte“ üblich geworden ist. Die Herausgabe dieser ausgewählten Dokumente stellt eine hoch einzuschätzende Leistung dar, auf die Historiker, die sich mit dieser Periode der sowjetische Geschichte in Lehre und Forschung befassen, mit großem Gewinn für ihre anschauliche Rekonstruktion der Zeit zurückgreifen werden.

Benno Ennker, Tübingen/St. Gallen

Zitierweise: Benno Ennker über: V. V. Denisov, A. V. Kvašonkin, L. N. Malašenko [u.a.] (Hrsg.): CK VKP(b) i regional’nye partijnye komitety. 1945–1953. Izdat. Rosspėn Moskva 2004. = Dokumenty sovetskoj istorii. ISBN: 5-8243-0570-6, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 4, S. 619-620: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Ennker_Denisov_CK_VKPb.html (Datum des Seitenbesuchs)