Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Rayk Einax

 

Katharina Kucher Der Gorki-Park. Freizeitkultur im Stalinismus 1928–1941. Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2007. 330 S., 42 Abb. = Beiträge zur Geschichte Osteuropas, 42. ISBN: 978-3-412-10906-6.

Die besten Zeiten des 1928 als „Zentraler Kultur- und Erholungspark“ begründeten Gorki-Parks scheinen schon lange und unwiederbringlich der Vergangenheit anzugehören. Nichtsdestotrotz zehrt die 1932 nach dem sowjetischen Schriftsteller benannte Moskauer Institution noch immer von ihrer einstigen, mythischen Anziehungskraft. Es klingt wie ein Paradoxon, aber der Park bot den Moskauern nach seinem raschem Ausbau selbst inmitten des ‚Großen Terrors‛ von 1937/38 täglich Vergnügen und Zerstreuung. Zeitliche Parallelität und räumliche Nähe von Amüsement und Trauma berühren eine der Grundfragen von Katharina Kuchers Studie: Was zeichnete den Gorki-Park als öffentliche Freizeiteinrichtung aus, während Stadt und Land jenseits dieser vermeintlich beschaulichen Vergnügungswelt gleichzeitig in den stalinistischen Furor abglitten?

Der Gorki-Park war eben das Produkt einer spezifisch sowjetisch-stalinistischen Freizeitkultur. An seinem Beispiel will die Autorin kulturelle Paradigmen und gesellschaftliche Ambivalenzen deutlich machen. Ihr Interesse richtet sich also auf die Parallelwelten zu den damaligen, unmittelbaren Gewalterfahrungen; auf die Bestreitung von Alltag, Arbeit, Freizeit und (bescheidenem) Konsum in Zeiten pausenloser Umwälzungen; auf die politischen Prämissen bei der Konzipierung und Ausgestaltung des Parks; und letztlich auf die Verortung und Lenkung von Freizeit im stalinistischen Herrschaftssystem.

Der „Gorki-Park“ besaß bereits bei seiner Einrichtung historische und kulturelle Anknüpfungspunkte aus dem russischen Zarenreich. Völ­lig neu hingegen seien das Verhältnis des Sowjetstaates zur Freizeitgestaltung seiner Bürger und seine damit verknüpften ideologischen und sozialen Prämissen gewesen. Durch interne und externe Einflüsse eröffneten sich in der noch jungen Sowjetunion auch auf die Ausgestaltung von Freizeit und urbaner Kultur neue Perspektiven. Die Utopie vom „neuen Menschen“ und die Vorteile der sozialistischen Lebensweise beherrschten die Feuilletons. Das typische Lebensumfeld der zugewanderten Arbeiter war hingegen die Subkultur der Moskauer Vororte. Der dort herrschende niedrige Lebensstandard entsprach nicht gerade dem Ideal des „neuen Menschen“. Dem Regime lag deshalb daran, die offizielle sowjetische Norm von „Kultiviertheit“ (kul’turnost’) möglichst rasch durchzusetzen. Diese beinhaltete unter anderem gewisse Anforderungen an die körperliche Hygiene und das regelmäßige Treiben von Sport. Im „Gorki-Park“ sollten all die neuen Kulturvorstellungen gebündelt und im Stile des ‚sozialistischen Realismus‛ symbolisiert werden, quasi als Schaufenster in die nahe Zukunft. Das Regime ging ideell davon aus, dass sich mit dem Besuch derartiger Freizeiteinrichtungen auch individuelle Lebensweisen (byt) ändern und bessern würden.

Dem Park wurde daher im Generalplan von 1935 eine tragende Rolle für das ‚neue‛, in rasender Geschwindigkeit prosperierende Moskau eingeräumt. Jedoch gab es davor kaum konkrete Vorstellungen über die Funktionen des beabsichtigten Parks. Konzeption und Bau waren deshalb zunächst provisorischen Charakters. Die zweite Hälfte der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde dann zur Blütezeit des „Gorki-Parks“. Kucher zufolge wurde das Parkgelände nach seiner Ausgestaltung zu einem öffentlichen Ort mit betont sowjetischen Ordnungsvorstellungen und Stilelementen erst im nächsten Schritt durch das stalinistische Regime propagandistisch vereinnahmt. Und wie bereits angedeutet, spiegelte sich das Jahr 1937 mit all den (scheinbar) faszinierenden und zugleich furchtbaren Facetten der damaligen sowjetischen Lebenswelt im Park wider. (Vgl. auch Karl Schlögel Terror und Traum. Moskau 1937. Hamburg 2008.)

Das staatlich angebotene Kultur- und Unterhaltungsprogramm wurde jedenfalls jährlich von Millionen Besuchern angenommen und rege genutzt. Neben bloßem Spaß und Spiel, neben Kinderunterhaltung und gastronomischer Versorgung sei der Besucher aber auch einer latenten ideologischen und (vor)militärischen Beeinflussung unterzogen worden. Sportliche Betätigung und die Vermittlung technischer Kenntnisse und Fertigkeiten zielte gleichzeitig auf eine Popularisierung des Wehrsports ab. Ausstellungen dienten neben der Wissensvermittlung auch politischer Bildung und Erziehung. Auf den regelmäßigen Festveranstaltungen im Rahmen des sowjetischen Feiertagskalenders wurden zudem die sowjetischen Errungenschaften gepriesen und eine vorgegebene gesunde Lebensweise massenwirksam propagiert.

Der stalinistische Staat hatte mit einer möglichst umfassenden Überwachung und mit der ideologischen Vereinnahmung der Parkanlage die Absicht, sogar in die Freizeit seiner Bürger reglementierend einzugreifen. Daran war auch das Programm des Parks orientiert, welches kontinuierlich versuchte, den Besucher mit erhobenem Zeigefinger normativ zu beeinflussen, und Spontanität kaum zuließ. Allerdings muss an dieser Stelle zwischen Anspruch und Realität getrennt werden, denn die Beeinflussbarkeit hatte auch ihre Grenzen.

Kucher widmet sich aus diesem Grund den Problemen und Schattenseiten des täglichen Kulturbetriebs und kommt zu dem Ergebnis, „daß der Park aufgrund inhaltlicher Unklarheiten und des Mangels an Personal und materiellen Voraussetzungen konstante Züge eines Provisoriums trug, die mit der zunehmenden Erstarrung der Institution in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre Normalität wurden. Die Tatsache, daß selbst das Paradies […] unvollkommen war, machte den Gorki-Park zu einer typischen Institution des Stalinismus, da die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit einer der typischen Wesenszüge dieses Herrschaftssystems war.“ (S. 184–185)

Nicht alle Individuen waren gleichermaßen auf dem Erholungsgelände willkommen. Vorrangige Zielgruppe waren leistungsbereite, relativ gut verdienende und junge Sowjetbürger. Für Arbeiter und deren Familien war ein Parkbesuch wegen der bescheidenen Löhne ein eher seltenes Vergnügen. Die sowjetische Presse prangerte dagegen vor allem Hooliganismus, Kleinkriminalität und öffentliche Trinkexzesse an. Im selben Atemzug blieben auch die Verwaltung und der Mitarbeiterbestand des Parks nicht von den stalinistischen Säuberungen verschont.

Viele weitere Erholungs- und Freizeitparks in der ganzen Sowjetunion folgten dem Moskauer Muster der sowjetischen Massenkultur. Trotz ihrer vordergründigen Unterhaltungsfunktion waren sie ein fester Baustein im stalinistischen Herrschaftsgefüge, so das Fazit der Autorin. Die ständigen Signale an den über weite Strecken gelenkten Besucher untermauerten den Anspruch auf die Beherrschung von öffentlichem Raum und (Frei-)Zeit. An der realen Umsetzung haperte es hingegen. Dafür wurden die Grundlagen der sowjetischen Populärkultur der fünfziger und sechziger Jahre gestiftet.

Die kulturgeschichtliche Forschungstradition dominiert die vorliegende Arbeit und ihre Sicht auf Lebensstile im Stalinismus. Dem ist auch die Verwendung des Begriffs der ‚Lebenswelt‛ verpflichtet. Die Studie konzentriert sich auf die dreißiger Jahre, als sich der Park bereits etabliert hatte. Neben einer stringenten Analyse gelingt es der Autorin, die einstige Atmosphäre – mit all den Theatern, Kleinkunstbühnen, Kinos, Attraktionen, Tanzveranstaltungen, Konzerten, Ausstellungen, Manegen usw. – phantasievoll lebendig werden zu lassen und in anregender Weise zu verdichten. Die Eindrücke werden von zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen, Lageskizzen und Entwurfszeichnungen untermalt. Das Opus vereint somit Vorzüge, die nicht nur die wissenschaftliche Neugier befriedigen.

Rayk Einax, Jena

Zitierweise: Rayk Einax über: Katharina Kucher Der Gorki-Park. Freizeitkultur im Stalinismus 1928–1941. Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2007. = Beiträge zur Geschichte Osteuropas, 42. ISBN: 978-3-412-10906-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Einax_Kucher_Gorki_Park.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2011 by Osteuropa-Institut Regensburg and Rayk Einax. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact redaktion@osteuropa-institut.de