Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 4, S.  603–603

Krzysztof Ruchniewicz „Noch ist Polen nicht verloren“. Das historische Denken der Polen. Lit Verlag Berlin 2007. 99 S. = Mittel- und Osteuropastudien, 7. ISBN: 978-3-8258-0893-8.

Ruchniewiczs Buch bietet anhand von sechs Fallstudien einen Einblick in wichtige Debatten über den Umgang mit der Geschichte, die in Polen vor allem nach 1989 stattfanden. Davor gibt er in einer etwa 20-seitigen Einleitung einen gelungenen Einblick in die aktuellen Kontroversen über die Vergangenheit Polens und deren gesellschaftliche Kontexte. Er verweist unter anderem auf die bis heute andauernden Nachwirkungen der mar­ty­ro­lo­gi­schen Geschichtssicht aus der Teilungszeit im 19. Jahrhundert sowie den Gegensatz zwischen offiziellem und inoffiziellem Erinnern nach 1945. Ebenfalls beschreibt er die aktuellen Diskussionen über die Beurteilung der Zeit der kommunistischen Herrschaft, wobei er auch auf die Kontroversen um das Institut des Nationalen Gedenkens (Instytut Pa­mięci Narodowej) eingeht. Danach folgen zwei Beiträge zur Verarbeitung der neueren polnisch-russischen Beziehungsgeschichte, die sich mit den Opfern des Stalinimus sowie dem Massaker von Katyń beschäftigen. Die nächsten beiden Studien beziehen sich auf den Aufstand im Warschauer Ghetto, ein weiterer auf den Warschauer Aufstand, und der abschließende stellt die Erinnerung an den Aufstand von 1956 dar.

Dennoch liefert Ruchniewicz nur einen bedingt repräsentativen Einblick in die polnischen Debatten über die mit den Nachbarn geteilte Geschichte, was auch darauf zurückzuführen ist, dass er mit Ausnahme der Einleitung auf sich inhaltlich teilweise überschneidende und bereits zuvor in deutscher Sprache publizierte Beiträge zurückgegriffen hat. Eine Ergänzung durch Studien zu Themen wie „Jedwabne“, dem „Zentrum gegen Vertreibungen“ sowie der polnisch-ukrainischen Diskussion über die Ereignisse in Wolhynien 1943/44 wäre wünschenswert und auch möglich gewesen, da Ruchniewicz seine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Erinnern an die Geschichte in Polen noch nicht abgeschlossen hat. Als Beleg sei hier kurz auf folgende Publikationen von Krzysztof Ruchniewicz hingewiesen: Die Kultur des Gedächtnisses in Polen, seine Erinnerungspolitik und die gemeinsame europäische Zukunft, in: Vertreibungen europäisch erinnern? Historische Erfahrungen, Vergangenheitspolitik, Zukunftskonzeptionen. Hrsg. von Dieter Bingen. Wiesbaden 2003, S. 261–265; Der Zickzackkurs der polnischen „Geschichtspolitik“ nach 1989, in: Neue politische Literatur 53 (2008) S. 205–223; Die Jedwabne-Debatte in Polen: Das schwierig­ste und schmerzlichste Kapitel der polnisch-jüdischen Beziehungen, in: Verflochtene Erinnerungen: Polen und seine Nachbarn im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Martin Aust, Krzy­sz­tof Ruchniewicz und Stefan Troebst. Köln, Weimar, Wien 2009, S. 189–198.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass Ruch­nie­wicz in seinem Buch komplexe Zusammenhänge und Fakten für ein nicht nur wissenschaftliches Publikum in einem gut lesbaren Stil präsentiert, womit das Buch eine gute Grundlage für die akademische Lehre darstellt. Gerade deshalb wäre jedoch eine überarbeitete und erweiterte Neuauflage in einigen Jahren wünschens­wert.

Stefan Dyroff, Bern

Zitierweise: Stefan Dyroff über: Krzysztof Ruchniewicz „Noch ist Polen nicht verloren“. Das historische Denken der Polen. Lit Verlag Berlin 2007. = Mittel- und Osteuropastudien, 7. ISBN: 978-3-8258-0893-819.12.2008 aus Word-Vorlage erstellt, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 4, S. 603–603: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Dyroff_Ruchniewicz_Noch_ist_Polen.html (Datum des Seitenbesuchs)