Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 2, S. 302-303

Verfasst von: Stefan Dyroff

 

Julia Eichenberg: Kämpfen für Frieden und Fürsorge. Polnische Veteranen des Ersten Weltkriegs und ihre internationalen Kontakte, 1918–1939. München: Oldenbourg, 2011. VIII, 259 S. = Studien zur Internationalen Geschichte, 27. ISBN: 978-3-486-70457-0.

Julia Eichenbergs im Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrungen“ der Universität Tübingen entstandene Dissertation beschreibt zu Beginn die besondere Situation der am Ersten Weltkrieg teilnehmenden polnischen Soldaten. Da Polen als Staat 1914 nicht existierte, dienten sie als Wehrpflichtige in den Armeen der Teilungsmächte und in Freiwilligenformationen an der Seite der Mittelmächte oder der Alliierten, wobei die Übergänge oft fließend waren. Vor allem der Gruppe der in fremder Uniform kämpfenden Soldaten wurde in der polnischen Gesellschaft der Zwischenkriegszeit mit Skepsis begegnet. Sie standen eindeutig im Schatten der Veteranen der zahlreichen Grenzkriege und Nationalaufstände der Jahre 19181921. Letztere wurden als nationale Helden verehrt, während jenen nur Mitgefühl für ihre Kriegsverletzungen entgegengebracht wurde. Diese Zweiteilung setzte sich auf der materiellen Ebene fort, da die Soldaten der Teilungsmächte geringere materielle Unterstützung im Bereich der Invaliditätsrenten und der Altersversorgung erhielten.

Dieses Defizit an Anerkennung kompensierten ihre Führungspersönlichkeiten durch die Teilhabe an internationalen Veteranennetzwerken, wo sie gleichberechtigte Mitglieder waren. Nach innen versuchten sie dagegen ihre Teilnahme am Ersten Weltkrieg als Teil des Kampfes um die polnische Unabhängigkeit darzustellen. Dies misslang, da nach Piłsudskis Maiputsch 1926 der Kult um die polnischen Legionen – zum Grundstock der polnischen Armee mutierende Sondereinheiten der österreichischen Armee unter Piłsudskis Führung – eine quasi staatstragende Rolle einnahm. Der autoritär regierenden Staatsführung gelang es 1928 zwar, einen regierungstreuen Dachverband polnischer Veteranenorganisationen zu installieren. Die Vertreter der in pazifistischer Tradition stehenden älteren Vereinigungen blieben jedoch auf der internationalen Ebene einflussreicher als die Legionäre.

Innenpolitisch wirkten die Veteranen als Kämpfer für Frieden und Fürsorge. Ihr Einsatz für Frieden, Abrüstung und den Völkerbund stellte eine Außenseiterposition in der sich immer stärker militarisierenden Gesellschaft dar, die sie als ‚verdächtige Pazifisten‘ wahrnahm. Als Lobbyisten einer modernen Sozialpolitik waren sie einflussreicher und konnten, gestützt auf durch ihre internationalen Kontakte gewonnene Ideen und Informationen, die Gesetzgebung beeinflussen. Sie leisteten damit einen Beitrag zur Entwicklung der im damaligen Polen noch schwach ausgeprägten Zivilgesellschaft. Ohne einen vergleichenden Ausblick auf die Wirkungskraft anderer Interessen- und Berufsgruppen bleibt jedoch offen, wie ihre diesbezüglichen Leistungen einzuordnen sind.

Eichenbergs hier kurz vorgestellte Studie ist keine faktengesättigte Darstellung der internationalen Aktivitäten polnischer Veteranenverbände, sondern vielmehr eine Neudeutung der internationalen Zusammenarbeit europäischer Kriegsveteranen in der Zwischenkriegszeit nach Auswertung polnischer Quellen. Die Autorin verliert sich nicht in Details, sondern interpretiert ihre Quellen mit Hilfe der Ergebnisse der deutschen, französischen und angloamerikanischen Veteranenforschung sowie neusten Studien zur internationalen Geschichte und parlamentarischen Kultur. Das Resultat ist eine Analyse des Transfers von Ideen und Wissen aus transnationalen Veteranennetzwerken in die Gemeinschaft der polnischen ehemaligen Kriegsteilnehmer. Eichenberg widerspricht damit der These der polnischen Forschung, die die Mitarbeit polnischer Veteranen in internationalen Netzwerken nur als verlängerten Arm der polnischen Außenpolitik wertet. Stattdessen hatten derartige zivilgesellschaftliche Kontakte Rückwirkungen auf die Ausgestaltung der polnischen Sozial- und Wohlfahrtspolitik. Zukünftige Forschungen sollten dies aufnehmen und diesen internationalen Einfluss in anderen Politikbereichen untersuchen.

Jenseits der internationalen Ebene gibt Eichenbergs Untersuchung der Parlamentsdebatten um die Versorgung der Weltkriegsveteranen einen beispielhaften Einblick in zentrale Probleme der Zweiten Polnischen Republik wie die Ausbildung von Verantwortlichkeiten zwischen Staat und Bevölkerung sowie den Umgang mit nationalen und religiösen Minderheiten. Sie schlussfolgert, dass die nationale Unabhängigkeit und der Nutzen der polnischen Nation im politischen Diskurs der Zweiten Polnischen Republik stets im Zentrum der Argumentation standen. Leider versäumt die Autorin es hier, ihre Ergebnisse ähnlich wie im internationalen Teil mit der Forschung in Beziehung zu setzen. In diesem Kontext wäre ein Abgleich mit den Überblickswerken und Fallstudien zur politischen Kultur der Zweiten Republik beispielsweise von Stephanie Zloch (Polnischer Nationalismus, Köln 2010) oder Jerzy Tomaszewki und Zbigniew Landau (Polska w Europie i świecie 1918–1939. Warszawa 2005) angebrachter gewesen als die häufig zu findenden Verweise auf die Arbeiten von Zara Steiner (The Lights that Failed. Oxford 2007) und Thomas Mergel (Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Düsseldorf 2002). Es bleibt somit unklar, in welchem Verhältnis die Analyse zu allgemeineren Forschungen zum Polen der Zwischenkriegszeit steht. Wünschenswert wären auch detailliertere Hintergrundinformationen zu den an den Debatten beteiligten Parlamentariern gewesen. Der Leser erfährt so beispielsweise nicht, dass der als Kritiker der gesetzlichen Diskriminierung der Teilungs-Pensionäre angeführte Abgeordnete Józef Skrzypa als der Kommunistischen Partei nahestehender ukrainischstämmiger Abgeordneter eine randständige Figur ohne jeden politischen Einfluss im polnischen Parlament war.

Trotz dieser Kritikpunkte stellt Eichenbergs Arbeit einen gelungenen Versuch der Einbindung Polens in die internationale Geschichte der Zwischenkriegszeit dar. Die von ihr gewählte Perspektive verspricht neue Erkenntnismöglichkeiten für die Geschichte Ostmitteleuropas. Darüber hinaus vermittelt die Autorin Ansätze zur Erforschung von mit ihrem Thema verwandten Bereichen der deutsch-polnischen Beziehungen. Neben den möglichen Parallelen zwischen der parlamentarischen Kultur in Deutschland und Polen ist hier die Stellung polnischer Soldaten zu ihrem Kriegseinsatz in der deutschen Armee zu nennen. Die kurz geschilderte (164166) Stimmungslage der Polen im englischen Kriegsgefangenenlager Feltham verweist auf interessantes Quellenmaterial in den Londoner National Archives, das eine wertvolle Ergänzung zu auf deutschen und polnischen Quellen gestützten Arbeiten wie der von Jens Boysen (Preußische Armee und polnische Minderheit. Marburg 2008) zu sein scheint.

Stefan Dyroff, Bern

Zitierweise: Stefan Dyroff über: Julia Eichenberg: Kämpfen für Frieden und Fürsorge. Polnische Veteranen des Ersten Weltkriegs und ihre internationalen Kontakte, 1918–1939. München: Oldenbourg, 2011. VIII, 259 S. = Studien zur Internationalen Geschichte, 27. ISBN: 978-3-486-70457-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Dyroff_Eichenberg_Kaempfen_fuer_Frieden_und_Fuersorge.html (Datum des Seitenbesuchs)

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