Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 3, S. 508-510

Verfasst von: Roland Cvetkovski

 

Christiane Post: Künstlermuseen. Die russische Avantgarde und ihre Museen für Moderne Kunst. Berlin: Reimer, 2012. 336 S., zahlr. Abb. ISBN: 978-3-496-01470-6.

Nicht nur für die Zeitgenossen stand der Oktober 1917 für das Neue, das Bessere, das Schönere oder auch das Gerechtere. Unabhängig aber davon, ob man diese Sicht der Dinge tatsächlich teilte, bestimmte sich der eigentliche Modus der Revolution, zumindest in ihrer Anfangsphase, weniger durch solche plakativen Schlagworte, die sich nur allzu oft als leere Versprechungen herausstellen sollten, sondern er nahm eher auf einer Wahrnehmungsebene Gestalt an, die sich vielleicht am besten mit dem bedingungslosen Hereinbrechen der Gegenwart und ihrer kontinuierlichen, fast schon gewaltsamen Ausweitung beschreiben ließe. Das Neue war neu, nicht weil es neuartig war, sondern weil es vor allem jetzt war. Gerade die Musealisierung moderner, avantgardistischer Kunst in der Sowjetunion der zwanziger Jahre ist ein beredter Ausweis dafür, wie sehr die Gegenwartvor allem von Seiten der Künstler, aber auch seitens des Narkompros, des Volkskommissariats für Aufklärungeine Aufwertung erfuhr und zeitweilig sogar verabsolutiert wurde. Die Kunsthistorikern Christiane Post untersucht nun in ihrer Habilitationsschrift am Verhältnis zwischen zeitgenössischer Kunst, ihrer Ausstellung und der Institution Museum die Umstände, die gerade dieses Phänomen der ästhetischen Überhöhung der Gegenwart bedingten. Ihre Arbeit zielt auf eine Rekonstruktion der Geschichte der russischen Museen für moderne Kunst im Zeitraum von 1918 bis 1928 und stellt das Moskauer Museum für malerische Kultur (Muzej živopisnoj kultury, MŽK) in das Zentrum ihrer Untersuchung.

Mit der Abschaffung des freien Kunsthandels, dem Verbot privaten Kunstbesitzes und der zügigen Verstaatlichung der russischen Museen umreißt Post zunächst knapp die Auswirkungen der Oktoberrevolution auf das Museums- und Sammlungswesen, bevor sie, ebenfalls sehr gedrängt, die Grundzüge der frühsowjetischen Kulturpolitik darstellt. Hierbei beschränkt sie sich auf die Abteilung für bildende Künste (IZO) des Narkompros (Narodnyj komissariat prosveščenija) und auf den Einfluss, den Avantgardekünstler wie Kandinskij, Malevič, Rodčenko, Šagal (Marc Chagall) oder Tatlin, die die wichtigen Schaltstellen der Abteilung besetzten, auf das staatliche Ausstellungswesen nahmen. In dieser Funktion initiierten sie die Gründung einer Reihe von neuen Museen, die sich ausschließlich um moderne Kunst zu kümmern hätten und in Selbstverwaltung von Avantgardekünstlern geleitet würden: Sie waren für die Bildankäufe verantwortlich wie auch für die Konzeption und Umsetzung der musealen Ausstellungen. In diesem Zusammenhang wird auch 1920 das MŽK in Moskau unter der Leitung von Kandinskij eröffnet, das vor allem mit neuen Hängungsprinzipien experimentierte und die übliche, nach kunsthistorischen Einteilungen vorgenommene chronologische Ordnung zugunsten einer technischen, formal-ästhetischen Hängung über Bord warf. Die Entwicklung und Verwissenschaftlichung dieses neuen Verständnisses von Kunst, ihrer materialen Bedeutung und ihrer entsprechenden musealen Präsentation wurde in dem zeitgleich im Narkompros eingerichteten Institut für künstlerische Kultur (INChUK) vorangetrieben, wo Kandinskij ebenfalls federführend war. Bis 1928, als das MŽK der neu installierten Hauptverwaltung für Literatur und Kunst (Glaviskusstvo) unterstellt und kurz darauf, angeblich wegen Platzmangels, geschlossen wurde, präsentierten die Kuratoren in den Räumen des MŽK neben der Dauerausstellung zahlreiche Einzel- oder Werkschauen von größtenteils berühmten Vertretern der zeitgenössischen sowjetischen Avantgarde. Die Einrichtung solcher Kunst- und Künstlermuseen blieb allerdings nicht auf die Hauptstadt beschränkt: In Petrograd wurde 1919 etwa das berühmte Museum für künstlerische Kultur gegründet, das Mitte der 1920er Jahre zeitweise von Malevič geleitet wurde und zu einem Brennpunkt für experimentelle Ästhetik avancierte. Aber auch in der Provinz erfolgten zahlreiche Neugründungen, deren berühmteste wohl das Museum für moderne Kunst in Vitebsk unter Šagal und später auch unter Malevič war. Der Museumskongress von 1930 setzte jedoch dem bunten Treiben ein Ende und schwor die Museenwie andere Kultureinrichtungen zuvor auchauf die Errichtung des Sozialismus ein.

Die von Post verfolgten Debatten um das neue Verständnis sowohl von moderner Kunst als auch ihrer Präsentation zeigen eindrücklich, mit welcher Radikalität, aber auch mit welcher Beharrlichkeit die Avantgardisten ihre Positionen formulierten. Post zitiert dafür ausführlich aus den bekannten Traktaten und Aufsätzen von Kandinskij, Malevič, Tatlin oder Rodčenko zur neuen Kunst und zu den Aufgaben des neuen Museums. Folgt man aber der Argumentation von Post, so gewinnt man den Eindruck, dass hier tatsächlich etwas gänzlich Neues postuliert wurde, was so vorher noch nicht da war, gerade weil Post sich in ihrer Untersuchung ausschließlich auf Quellenmaterial aus dem Zeitraum zwischen 1917 bis ca. 1930 stützt. Aber diese Positionen waren so neu nicht: Mit Blick auf die Kunst ohnehin nicht, aber auch in Bezug auf das Museum werden in der frühen Sowjetunion lediglich die Ansätze der spätimperialen Amateurmuseologen aufgegriffen, weitergesponnen und erst durch ihre Politisierung letztlich radikalisiert. Daher rührt auch der starke Kontrast, wenn das gleichsam im Bergsonschen Vokabular gehaltene Eintreten für das unbedingt Bewegliche, Lebendige der neuen Kunstwerke und für das Schöpferische des Museumseinschlägige Denkfiguren, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts unter russischen Ethnografen-Museologen oder Historikern kursiertendabei in einem eigentümlichem Widerspruch zu der Auffassung von einer gleichsam oberflächlichen, rein formal und nur technisch zu würdigenden Kunst steht. Der Kontext, in den die Autorin ihren Untersuchungsgegenstand stellt, ist auch unter kunsthistorischen Gesichtspunkten viel zu eng gefasst, als dass die Kontinuitäten, die es über die Wasserscheide 1917 hinweg gerade in diesem Fall mehr als genügend gibt, in den Blick geraten könnten. Wenn man sich mit frühsowjetischen Museen beschäftigt, ist es auch unter dem Aspekt, dass sich die Institution Museum tatsächlich erst in der Sowjetunion zu voller Blüte entfaltete, dennoch unbefriedigend, diese Geschichte erst mit 1917 beginnen zu lassen. Selbst Malevičs Traktat über das Museum von 1919, den Post als Ausgangspunkt für ihre Überlegungen nimmt, bezieht sich ja offensichtlich auf eine Vorgeschichte. Diese auszublenden, trübt den Blick und verkennt mitunter die historischen Wahlverwandtschaften. Letztlich folgt Post einem älteren, gewissermaßen heroischen Narrativ, das die Singularität der Avantgarde herausstreicht und zunächst politisch motiviert, in deren Praxis aber nicht die konkreten geschichtlichen Zusammenhänge berücksichtigt, die nämlich in der Tat auf Vergangenem aufruhen und somit den Ruf der Avantgardisten als absolute Neuerer mitunter gefährden könnten.

Obwohl Post immer wieder größere Quellenabschnittezumeist aus den Traktaten der Künstlerzitiert und erfreulicherweise dem Buch einen beachtlichen Fundus an Bildmaterialien beigefügt hat, bleibt der eigentliche analytische Zugriff der Autorin auf den Themenkomplex weithin unsichtbar, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie nur selten Erklärungen liefert oder gar Bewertungen vornimmt. Sehr häufig findet man diese leider nur in den ebenfalls reichlich zitierten Passagen aus der aktuellen Forschungsliteratur, hinter denen sich die Autorin ein wenig zu verbergen scheint. Auch wenn Posts Arbeit in ihrem darstellerischen Zugang durchaus zu würdigen ist, irritieren mitunter ein wenig die seitenlangen Passagen, in denen die Autorin die Ankäufe der jeweiligen Museen kommentarlos wiedergibt. Besonders bei den Einrichtungen in der ProvinzPost hat sich hier Informationen zu fast drei (!) Dutzend Museen aus dem europäischen Teil Russlands beschafftspringt dies ins Auge: Die bloße Aufzählung der erworbenen Kunstwerke allein bietet wenig Erkenntnisgewinn. Schade ist auch, dass die sowjetische Museologie, und diese war zu jener Zeit europaweit eine tatsächlich avantgardistische Bewegung, auf nur wenigen Seiten abgehandelt wird; auch die Darstellung der internationalen Rezeption der neuen sowjetischen Kunstmuseen auf gerade einmal fünf Seiten komprimiert, die lediglich Meinungen aus einigen einschlägigen ausländischen Zeitschriften- und Zeitungsartikeln wiedergibt, lässt zumindest den historisch geschulten Leser eher befremdet zurück.

Post gebührt Lob, dass sie reichlich die Quellen sprechen lässt; eine andere, neue Sicht der Dinge versagt sie uns aber leider.

Roland Cvetkovski, Köln

Zitierweise: Roland Cvetkovski über: Christiane Post: Künstlermuseen. Die russische Avantgarde und ihre Museen für Moderne Kunst. Berlin: Reimer, 2012. 336 S., zahlr. Abb. ISBN: 978-3-496-01470-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Cvetkovski_Post_Kuenstlermuseen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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