Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), 4, S. 652-654

Verfasst von: Matthias E. Cichon

 

Historisch-topographischer Atlas schlesischer Städte. Bd. 5: Wrocław – Breslau. Im Auftrag des Herder-Instituts hrsg. von Peter Haslinger / Wolfgang Kreft / Grze­gorz Strauchold / Rościsław Żerelik. Bearb. von Grzegorz Strauchold / Ra­fał Eysymontt. Marburg/Lahn, Wrocław: Herder-Institut, 2016. 80 S., 114 Ktn. u. Abb. ISBN: 978-3-87969-409-9.

Historyczno-topograficzny atlas miast śląskich. T. 5: Wrocław – Breslau. Wydawcy: Peter Haslinger, Wolfgang Kreft / Grzegorz Strauchold / Rościsław Żerelik. Autorzy: Grzegorz Strauchold / Rafał Eysymontt. Marburg/Lahn, Wrocław: Herder-Institut, 2016. 80 S., 114 Ktn. u. Abb. ISBN: 978-3-87969-410-5.

Historical-Topographical Atlas of Silesian Towns. Vol. 5: Wrocław – Breslau. Edited on behalf of the Herder Institute by Peter Haslinger / Wolfgang Kreft / Grzegorz Strauchold / Rościsław Żerelik. Authors: Grzegorz Strauchold / Rafał Eysymontt. Marburg/Lahn: Herder-Institut, 2016. 80 S., 114 Ktn. u. Abb. ISBN: 978-3-87969-411-2.

Mit mal größerer, mal geringerer Intensität zieht die schlesische Metropole Breslau die Aufmerksamkeit der Wissenschaft auf sich. Aus einem Dornröschenschlaf musste man sie dabei noch nie wecken. Dennoch war es um die Oderstadt nach der Veröffentlichung von Gregor Thums monumentaler Monographie Die fremde Stadt. Breslau 1945 (2003) und Norman Davis Breslau. Die Blume Europas (2005) – zumindest im deutschsprachigen Raum – zeitweise recht still geworden. Wohl nicht ganz unwesentlich dem Kulturhauptstadtjahr 2016 ist daher ein neu entfachtes Interesse der Forschung zuzuschreiben. Diesem verdankt sich eine Reihe von Beiträgen, darunter u. a. Eduard Mühles fundierte Städtebiographie Breslau. Geschichte einer europäischen Metropole (2015).

In die Zahl der Beiträge reiht sich auch der fünfte Band des Historisch-topographischen Atlas schlesischer Städte aus dem Herder-Institut ein. Zusammengestellt haben ihn der Breslauer Historiker Grzegorz Strauchold und der ebenfalls in der Oderstadt lehrende Kunsthistoriker Rafał Eysymontt. Gestalterisch unterscheidet sich der Atlas nicht von den Vorgängerwerken der Reihe. Neu ist allerdings, dass er nicht mehr als deutsch-polnische Ausgabe, sondern nunmehr in drei Sprachversionen (deutsch, englisch, polnisch) vorliegt. Wie bei den anderen Bänden der Reihe mag die Bezeichnung „Historisch-topographischer Atlas“ auf den Leser zunächst verwirrend wirken. Denn der Atlas ist mehr als ein bloßes, unter Umständen kurz kommentiertes Kartenwerk.

Wie seine Vorgänger, so gliedert sich auch dieser Atlas im Wesentlichen in zwei Teile. Im ersten (S. 8–42) erfolgt eine Darstellung der Stadtgeschichte. Deren Fokus sind zwar die Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert, dennoch finden auch die früheren Jahrhunderte ausreichend Berücksichtigung. Zur Illustration dieses Teils dienen zahlreiche Karten, Zeichnungen und Gemälde, die Rückschlüsse auf das Erscheinungsbild der Stadt im Laufe der Jahrhunderte zulassen. Vorangestellt ist dieser geschichtlichen Einführung noch ein Überblick zur geographischen Lage (S. 6–7), der durch Angaben zur Einwohnerentwicklung der Stadt ergänzt wird. Diese Informationen zur demographischen Entwicklung sind in einem Säulendiagramm sowie einer Tabelle optisch ansprechend aufbereitet worden. Den eigentlichen Kern des Atlas bildet das Kartenwerk im zweiten Teil (S. 43–77). Es umfasst Stadtpläne vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Zusätzlich finden sich hier Luftaufnahmen aus polnischer, aber auch aus deutscher Zeit wieder. Letztere waren 1944 kurz vor der weitflächigen Zerstörung der Oderstadt angefertigt worden.

Für Breslau ist seine Nähe zum Wasser Fluch und Segen zugleich gewesen. Denn zum einen ermöglichte die Lage an der Oder erst den Aufstieg Breslaus zu einem prosperierenden Handelszentrum, zum anderen zerstörten Überschwemmungen regelmäßig weite Teile der Stadt und brachten Krankheiten und Seuchen mit sich. Staatlich wechselte Breslau im Laufe der Jahrhunderte mehrfach die Zugehörigkeit, war u. a. polnisch, habsburgisch, preußisch und deutsch. Dennoch änderten sich über die Jahrhunderte hinweg die Gestalt der Stadt und die Zusammensetzung ihrer Einwohnerschaft nur geringfügig. So sind es denn, trotz dieser wechselhaften Zeitläufte, nur zwei Zäsuren, welche die Autoren in der Stadtgeschichte ausmachen können: das frühe 19. Jahrhundert und die Zeit nach 1945.

Ein ökonomisch und sozial reglementierendes Zunftwesen und das Vorhandensein einer Stadtmauer hätten größeren Veränderungen in der Stadt einen Riegel vorgeschoben. Erst durch die Schleifung der Befestigungsanlagen und die Abschaffung der Zünfte im Zuge der Napoleonischen Kriege seien diese Hemmnisse überwunden worden. Damit fand auch die traditionelle Teilung in eine protestantische Altstadt und eine katholische Dominsel ein Ende. Eingemeindungen und die Zuwanderung vom Land hätten einen immensen Bevölkerungsanstieg bewirkt, so dass am Vorabend des Ersten Weltkrieges bereits mehr als eine halbe Million Menschen in der Stadt lebten.

Einen noch gravierenden Einschnitt stellte jedoch die Zeit nach 1945 dar, als aus der deutschen eine polnische Großstadt wurde. Mit dem nahezu vollständigen Austausch der Bevölkerung habe ein bislang beispielloser Traditionsbruch in der Stadtgeschichte stattgefunden. Von den neuen Einwohner stammten allerdings in den Jahren 1947/48 nur 21 % aus den ehemals polnischen Ostgebieten, 73 % dagegen aus Zentralpolen (S. 32). Implizit widersprechen die Autoren damit einer verbreiteten Auffassung, wonach das polnische Breslau ein „zweites Lemberg“ (geworden) sei. Allerdings ist auf diesen Umstand polnischerseits bereits zu Zeiten der Volksrepublik aufmerksam gemacht worden. So stichhaltig die meisten Ausführungen und Thesen der Autoren sind, so wenig können sie deshalb als besonders originell gelten. Sie sind in erster Linie eine Synthese der bisherigen Forschungsliteratur. Einen Vorwurf kann man einer Überblicksdarstellung daraus freilich nicht machen.

Gewinnbringend zu lesen sind insbesondere die Schilderungen zur Stadtentwicklung nach 1990. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf infrastrukturellen Projekten sowie der Entwicklung Breslaus zu einem der kulturellen Zentren Polens. Hier lassen sich auch am ehesten eigene Akzente der Verfasser erkennen. Positiv hervorzuheben ist zudem, dass die Autoren der jüdischen Gemeinde Breslaus große Aufmerksamkeit schenken. Von Berlin abgesehen, lebten in deutscher Zeit in keiner Großstadt mehr Juden als in Breslau. Als Kaufleute, Politiker und Journalisten prägten sie das Stadtbild entscheidend mit. Liberale und orthodoxe Juden verfügten dabei jeweils über ihre eigenen Synagogen und Gemeinden, bevor die Nationalsozialisten dem jüdischen Leben in der Stadt ein abruptes und gewaltsames Ende bereiteten. Durch den Zuzug von Überlebenden der Shoa entwickelte sich Breslau nach dem Zweiten Weltkrieg kurzzeitig erneut zu einem Zentrum des Judentums. Antisemitische Ausschreitungen und die Abwanderung nach Israel beendeten jedoch auch dieses Kapitel rasch.

Der zweite Teil des Atlas bietet diverse Kartentypen auf, um den Wandel der Stadt über die Jahrhunderte zu veranschaulichen. Das territoriale Wachstum der schlesischen Hauptstadt infolge von Eingemeindungen und der Expansion in das Umland ist dabei besonders gut auf den beiden Entwicklungsphasenkarten (S. 72–75) nachvollziehbar. Interessant ist zudem ein Vergleich der eingangs erwähnten Luftaufnahmen mit Landkarten aus den vierziger Jahren. Auf Letzteren sind, allerdings wenig überraschend, wichtige Fabriken, Bahnhöfe sowie Schienenverläufe nicht verzeichnet.

Zu konstruktiver Kritik bietet der Atlas wenig Anlass. Gewiss kann man den Autoren vorhalten, dass sie keine Angaben zum prozentualen Verhältnis von Katholiken und Protestanten vor 1945 geben. Eine Frage ist zudem, ob die heute in Breslau lebenden, für das Erscheinungsbild der Stadt aber weitgehend irrelevanten nationalen Minderheiten relativ weiträumig Erwähnung finden mussten (S. 42). Dies sind jedoch Marginalien. Denn insgesamt lässt der fünfte Band des Historisch-topographischen Atlas kaum etwas zu wünschen übrig. Gestalterisch und inhaltlich bleibt er dem hohen Niveau seiner Vorgänger treu. Neben einem prononcierten Überblick zur Stadtgeschichte bietet er eine gut aufbereitete Sammlung von Karten, die vom 19. bis zum frühen 21. Jahrhundert reicht. Vergleichbare Werke hat man bislang vergebens gesucht. Mit Spannung und Vorfreude darf man daher auf die kommenden Ausgaben der Reihe blicken.

Matthias E. Cichon, München

Zitierweise: Matthias E. Cichon über: Historisch-topographischer Atlas schlesischer Städte. Bd. 5: Wrocław – Breslau. Im Auftrag des Herder-Instituts hrsg. von Peter Haslinger, Wolfgang Kreft, Grzegorz Strauchold und Rościsław Żerelik. Bearb. von Grzegorz Strauchold und Rafał Eysymontt. Marburg/Lahn, Wrocław: Herder-Institut, 2016. 80 S., 114 Ktn. u. Abb. ISBN: 978-3-87969-409-9; Historyczno-topograficzny atlas miast śląskich. T. 5: Wrocław – Breslau. Wydawcy: Peter Haslinger, Wolfgang Kreft, Grzegorz Strauchold i Rościsław Żerelik. Autorzy: Grzegorz Strauchold i Rafał Eysymontt. Marburg/Lahn, Wrocław: Herder-Institut, 2016. 80 S., 114 Ktn. u. Abb. ISBN: 978-3-87969-410-5; Historical-Topographical Atlas of Silesian Towns. Vol. 5: Wrocław – Breslau. Edited on behalf of the Herder Institute by Peter Haslinger, Wolfgang Kreft, Grzegorz Strauchold and Rościsław Żerelik. Authors: Grzegorz Strauchold and Rafał Eysymontt. Marburg/Lahn: Herder-Institut, 2016. 80 S., 114 Ktn. u. Abb. ISBN: 978-3-87969-411-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Cichon_SR_Historisch-topographischer_Atlas_5_Wroclaw_Breslau.html (Datum des Seitenbesuchs)

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