Peter Wörster (Hrsg.) Universitäten im östlichen Mitteleuropa. Zwischen Kirche, Staat und Nation – Sozialgeschichtliche und politische Entwicklungen. Hrsg. unter Mitarbeit von Dorothee M. Goeze. Oldenbourg Wissenschaftsverlag München 2008. 309 S. = Völker, Staaten und Kulturen in Ostmitteleuropa, 3. ISBN: 978-3-486-58949-3.
Unter Federführung von Ferdinand Seibt veranstalteten der Herder-Forschungsrat und das Marburger Herder-Institut im Jahre 1999 eine gemeinsame Tagung zu den Universitäten im ostmitteleuropäischen Raum. Der Tod des Initiators 2003 mag das Erscheinen des Tagungsbandes verzögert haben; acht Jahre sind aber selbst in der Geschichtswissenschaft eine lange Zeit. Leider konnte der aktuelle Forschungsstand nicht mehr aufgenommen werden. Immerhin zeichnet der Herausgeber in einem einführenden Text historiographiegeschichtliche Aspekte des Themas in aller gebotenen Kürze nach. Einige Beiträge konnten zusätzlich zu den auf der Tagung gehaltenen Vorträgen eingeworben werden, so dass die geographische Breite der gebotenen Themen nun von Estland bis Ungarn reicht.
Peter Wörster betont in seinem Vorwort, dass der Band vor allem unter dem „Gesichtspunkt des Vergleichs verschiedener Epochen und Länder“ eine neue Phase der Beschäftigung mit der osteuropäischen Universitätsgeschichte markiert (S. 9). So wenig im Rahmen dieser Besprechung die Wirkungsgeschichte der Tagung nachvollzogen werden kann, sei ihr doch das Kriterium des Vergleichs als Maßstab zu Grunde gelegt. Dass dieser Vergleich, sieht man einmal von Seibts Forschungsaufriss ab, nur selten innerhalb eines Textes geleistet wird, ist auch Wörster bewusst. Allein die Anordnung der Beiträge des anzuzeigenden Buchs zeigt das Problem, folgt sie doch einer geographischen Nord-Süd- bzw. West-Ost-Achse und nimmt keine Rücksicht auf die Chronologie oder gar übergreifende Themen. Überregionale Vergleiche, wie sie etwa Trude Mauer für die Universitäten Straßburg und Dorpat zwischen Germanisierung und Russifizierung angestellt hat (Trude Maurer Vorposten oder auf verlorenem Posten? Die Universitäten Straßburg und Jur’ev 1872 / 1887–1918, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 56 (2007) S. 500–538), kommen hier nicht vor.
Drei Beiträge behandeln die sogenannten „Gründungswellen“: Klaus Meyer zu Russland, Iselin Gundermann zu Brandenburg-Preußen und Lásló Szőgi zu Ungarn. Der historische Kontext variiert von Fall zu Fall: Während sich Meyer auf das beginnende 19. Jh. beschränken kann, beschäftigen sich Gundermann und Szőgi mit weitaus umfangreicheren Zeitabschnitten vom ausgehenden Mittelalter bis zum 20. Jh. Den größten Raum erhält die Universität Dorpat/Jur’ev/Tartu, die in drei Beiträgen von Meyer, Sirje Tamul und Csaba János Kenéz behandelt wird. Letzterer beschreibt die estnische Universität der Zwischenkriegszeit, womit er in diesem Band thematisch gesehen allein dasteht. Von der altehrwürdigen Prager Universität handeln der die Gründungen in Prag und Erfurt vergleichende Beitrag von Franz Machilek und die knappe Skizze zu den Juden von Rudolf M. Wlaschek. Schwedens Ostseemacht ist mit dem Aufsatz von Herbert Langer zu Greifswald, Polen mit Beiträgen zur „Academia Zamojska“ (Henryk Gmiterek) und zur Königlichen Akademie in Posen (Helmut Neubach) vertreten; die beiden ersteren beschäftigen sich folglich mit dem 17./18. Jh., während Posen nur von 1903 bis 1918 existierte. Die Habsburgermonarchie wird in Bezug auf die Universitätsreformen seit 1848 (Helmut Slapnicka) und den interessanten Fall Czernowitz (Emanuel Turczynski) untersucht. Den Abschluss bildet eine soziologische Studie zur Verbreitung der Reformation in Ungarn über die Universität Wittenberg von Máté Tamáska.
Im Zentrum der Beiträge stehen somit politische Entscheidungen, religiöse Bindungen, Forschungsleistungen und der Lehrkörper. Tamuls Beitrag zu den Stipendienmöglichkeiten im „Livländischen Athen“ steht mit seiner Konzentration auf die Studenten allein da. Vergleiche muss der Leser somit meist selbst ziehen, wobei ihm immerhin das Personenregister wertvolle Hilfe leistet. Insgesamt bietet der Band ein Kaleidoskop nicht nur von unterschiedlichen Regionen und Themen, sondern auch von methodischen Ansätzen. Als Einstieg kann er jedoch all denjenigen dienen, die sich mit der vergleichenden Universitätsgeschichte Ostmitteleuropas beschäftigen wollen.
Karsten Brüggemann, Tallinn
Zitierweise: Karsten Brüggemann über: Peter Wörster (Hrsg.) Universitäten im östlichen Mitteleuropa. Zwischen Kirche, Staat und Nation – Sozialgeschichtliche und politische Entwicklungen. Hrsg. unter Mitarbeit von Dorothee M. Goeze. Oldenbourg Wissenschaftsverlag München 2008. 309 S. = Völker, Staaten und Kulturen in Ostmitteleuropa, 3. ISBN: 978-3-486-58949-3, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 2, S. 295: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Brueggemann_Woerster_Universitaeten.html (Datum des Seitenbesuchs)