Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 1, S. 112-113

Verfasst von: Thomas Bremer

 

Juliane Schiel: Mongolensturm und Fall Konstantinopels. Dominikanische Erzählungen im diachronen Vergleich. Berlin: Akademie Verlag, 2011. 428 S. = Europa im Mittelalter, 19. ISBN: 978-3-05-005135-2.

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Dissertation, die 2010 an der Berliner Humboldt-Universität angenommen wurde (Fach: Mittelalterliche Geschichte). Die Verfasserin vergleicht, wie die beiden im Titel genannten Ereignisse von Mitgliedern des Dominikanerordens, die jeweils Zeitgenossen waren, wahrgenommen wurden. Ihr Anliegen ist es, durch Vergleich der Aufnahme dieser Geschehnisse aus dem 13. und dem 15. Jahrhundert darzustellen,wie aus den Nachrichten Ereignisse wurden(S. 17). Zu diesem Zweck werden die von ihr ausgewählten Texte kontextualisiert, analysiert und die Zugangsweisen der Autoren zu den Berichten verglichen.

Das Buch ist in vier Teile gegliedert, deren erster, einleitender die Fragestellung, den Forschungsstand, das Anliegen und die Struktur der Untersuchung darstellt. Das zweite Kapitel befasst sich dann mit demMongolensturmund untersucht dazu vier Dokumente: den Brief eines Dominikaners aus Jerusalem an den Papst, in dem er ihm von der angeblichen Konversion des syrisch-orthodoxen Patriarchen berichtet; die (überarbeiteten) Berichte des ungarischen Ordensbruders Julian, der den Osten bereist hat und vor den Tataren warnt; die einschlägigen Passagen im Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais; den Liber Peregrinationis des Riccoldo da Monte di Croce. Bis auf Vinzenz von Beauvais hatten alle Autoren Erfahrungen durch Reisen in den Orient, die sich aber nicht notwendig in den Werken niederschlagen.

Das dritte Kapitel hat die Eroberung Konstantinopels 1453 und ihre Folgen zum Thema; die Dominikaner waren von diesem Ereignis durch ihre Präsenz in der Kaiserstadt besonders betroffen. Auch hier werdennach einer historischen Hinführung vier Dokumente analysiert: der Bericht eines Augenzeugen der Eroberung, Leonardus von Chios, in einem Brief an den Papst; die Predigt des Bischofs von Caffa (heute Feodosija auf der Krim), Jacobus Campora, 1456 vor Kaiser Friedrich III. mit dem Aufruf zu einem Kreuzzug; der Tractatus contra principales errores Mahometi et Turcorum des Johannes de Turrecremata; der 1480/81 verfasste Türkentraktat des Georg von Ungarn. Das vierte Kapitel bietet den Vergleich; hier stellt die Verfasserin nach klaren Kriterien die Texte, die Autoren sowie die Geschehnisse in der Wahrnehmung der jeweiligen Texte einander gegenüber. Ein ausführlicher Anhang beschließt die Arbeit. In ihm muss die Edition und Übersetzung der Kreuzzugsrede des Jacobus Campora hervorgehoben werden, die bisher nicht ediert war. Dazu kommen ein ausführliches Literaturverzeichnis und die zuverlässigen Register (Orte, Personen).

Wie ersichtlich ist, haben die in diesem Band analysierten Quellen sehr unterschiedlichen Charakter: Brief, Reisebericht und Chronik sind als Gattung ebenso vertreten wie der theologische Traktat; die Texte stammen meist aus der unmittelbaren zeitlichen Nähe der Ereignisse, zuweilen aber auch aus einer gewissen Distanz; und die Autoren sind in unterschiedlichem Maße an den Ereignissen beteiligt gewesen. Was sie vereint, ist ihre Zugehörigkeit zum Dominikanerorden. Der Verfasserin gelingt es sehr gut zu zeigen, wie die Mitglieder des Predigerordens in ihren Darstellungen stets auch kirchenpolitische und vor allem ordenspolitische Interessen mitbedenken; sie kann überzeugend nachweisen, wie die einzelnen Schriften in ihrer jeweiligen Perspektive und Schwerpunktsetzung zurEreigniswerdungbeigetragen haben.

Das Buch ist sehr sorgfältig gearbeitet. Alle Texte werden historisch überzeugend eingeordnet, wobei der Perspektive des Ordens besondere Bedeutung zugemessen wird. Auch bei edierten Dokumenten werden die Überlieferungsgeschichte und die Zuverlässigkeit der Editionen diskutiert. Die Analysen der Texte sind genau und detailliert; sie beachten neben den historischen Umständen auch den kirchenpolitischen, theologischen Kontext. Insgesamt handelt es sich also um eine gedanken- und facettenreiche Untersuchung, die empfohlen werden kann.

Thomas Bremer, Münster

Zitierweise: Thomas Bremer über: Juliane Schiel: Mongolensturm und Fall Konstantinopels. Dominikanische Erzählungen im diachronen Vergleich. Berlin: Akademie Verlag, 2011. 428 S. = Europa im Mittelalter, 19. ISBN: 978-3-05-005135-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Bremer_Schiel_Mongolensturm_und_Fall_Konstantinopels.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2015 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg and Thomas Bremer. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact jahrbuecher@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.