Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 62 (2014), S. 625-626

Verfasst von: Thomas Bremer, Münster

 

Aleksandr Ju. Polunov: K. P. Pobedonoscev v obščestvenno-političeskoj i du­chov­noj žizni Rossii. Moskva: Rosspėn, 2010. 374 S., Abb. = Ljudi Rossii. ISBN: 978-5-8243-1491-5.

Konstantin Pobedonoscev war eine der wichtigsten Figuren der konservativ-restaurativen Richtung in der russischen Politik des späten 19. Jahrhunderts; als langjähriger Ober­prokuror bestimmte er die Geschicke der orthodoxen Kirche zwischen 1880 und 1905, als er78-jährigvor allem wegen der Liberalisierungen auf dem Gebiet der Religionsfreiheit zurücktrat.  Besonders sein Einfluss auf Aleksandr III. ist von großer Bedeutung; der Staatsbeamte warnach dem Tod des älteren Bruders des jungen Prinzendessen Erzieher. Sein Wirken ist vor allem im Zusammenhang mit den Reformen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu sehen, gegen die er sich vehement wandte; allein in der Hinwendung zur Autokratie, ja in ihrer Stärkung sah er den richtigen Weg für Russland. Der orthodoxe Glaube und die Kirche sollten dabei eine wichtige Rolle spielen; dass es auch innerhalb der Kirche mehr und mehr emanzipatorische Strömungen gab, empfand Pobedonoscev lediglich als störenden Faktor; er nahm es nicht als Warnsignal wahr.

Die hier vorliegende Biographie ist eine umfangreiche Studie zum Leben und Wirken Po­bedo­noscevs. Nach einer ausführlichen Einleitung widmet sich der Verfasser in fünf Kapiteln dem Lebensweg Pobedonoscevs, wobei er in chronologischer Reihenfolge verfährt:Der Anfang des Weges,Grundlagen der Weltanschauung,Der politische Aufstieg. Die Rolle in der Regierung von Aleksandr III.,Religion, Kirche und nationale BeziehungenundDas Ende der Karriere. Innerhalb dieser Kapitel sind die Abschnitte (jeweils zwischen vier und sechs) nach sachlichen Themen geordnet. Eine Zusammenfassung, ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Register beschließen die Studie.

Der Verfasser bietet eine ausführliche und gut lesbare politische Biographie Pobedonoscevs. Er setzt sich dabei ausführlich mit der bisherigen Forschung auseinander, auch mit der ausländischen. Westliche Arbeiten zu Pobedosnoscev hatten oft einen besonderen Akzent auf der Rolle des Oberprokurors für die Kirche und versuchten, den russischen Konservativismus des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Revolution von 1917 zu analysieren, während in der sowjetischen Historiographie der ideologische Aspekt (Pobedonoscev als Kämpfer für die Interessen einer Klasse) vorherrschte. Der Verfasser der vorliegenden Studie vertritt im Großen und Ganzen die Sichtweise, dass die Positionen des Oberprokurors nur im Kontext der Epoche nach den liberalen Reformen der 60er- und 70er Jahre mit ihren Spannungen und Widersprüchlichkeiten zu verstehen seien; insbesondere die Hinwendung zur Einfachheit des gläubigen Volkes habe für viele Zeitgenossen eine attraktive Alternative zu innovatorischem Denken dargestellt. Ein zentrales Movens sei für Pobedonoscev der religiöse Aspekt gewesen, insbesondere das Bewusstsein von der notwendigen Glaubenseinheit zwischen den Trägern der staatlichen Macht und dem Volk. Allerdings habe er zur Jahrhundertwende den kommenden Veränderungen nicht mehr anders als mit Widerstand begegnen können; da es aber zu dieser Zeit schon eine neue Generation von Konservativen gegeben habe, habe Pobedonoscev seine Positionen nicht mehr durchsetzen und sich in seinem Amt nicht mehr halten können.

Die Studie ist gründlich gearbeitet. Neben den relativ zahlreichen veröffentlichten Quellen stützt sich der Verfasser in großem Maße auf Archivmaterial, hier besonders auf die Korrespondenz Pobedonoscevs, sowie auf die Einschätzungen und Wertungen von Zeitgenossen. Insgesamt handelt es sich um einen wichtigen Beitrag, der die russische Geschichte des späten 19. Jahrhunderts unter dem Aspekt des Lebens und Wirkens eines der wichtigsten Akteure besser verstehen lässt.

Thomas Bremer, Münster

Zitierweise: Thomas Bremer, Münster über: Aleksandr Ju. Polunov: K. P. Pobedonoscev v obščestvenno-političeskoj i du­chov­noj žizni Rossii. Moskva: Rosspėn, 2010. 374 S., Abb. = Ljudi Rossii. ISBN: 978-5-8243-1491-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Bremer_Polunov_Pobedonoscev.html (Datum des Seitenbesuchs)

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