Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 60 (2012) H. 2, S. 281-283

Verfasst von: Thomas Bremer

 

Eastern Christianity and the Cold War, 1945–91. Edited by Lucian N. Leustean. London, New York: Routledge, 2010. XVII, 363 S., geb., = Routledge Studies in the History of Russia and Eastern Europe, 11. ISBN: 978-0-415-47197-8.

Dass es für die Epoche des „Kalten Kriegs“ in vielen Fächern erhebliche Forschungsdefizite gibt, darüber herrscht Konsens. In den letzten Jahren sind einige Bemühungen zu verzeichnen, diesem Zustand abzuhelfen. Für das Gebiet der Kirchengeschichte gilt die Feststellung von Forschungslücken in besonderem Maße; vor allem die kirchenpolitischen Implikationen der Ost-West-Konfrontation sind kaum aufgearbeitet. Die Untersuchungen, die es gibt, beziehen sich fast ausschließlich auf das westliche Christentum: Hinsichtlich der orthodoxen Kirche muss man feststellen, dass bislang nur sehr wenige Forschungsergebnisse vorliegen. Die meisten einschlägigen Arbeiten stammen aus den betroffenen Ländern, und viele von ihnen beschäftigen sich mit der Verfolgung und Unterdrückung des Christentums durch die kommunistischen Regimes.

Der vorliegende Sammelband will dazu beitragen, diesem Mangel abzuhelfen. Der Herausgeber bietet einen einführenden Überblick (S. 1‒15). Er nennt dabei eine Reihe von Forschungsfragen (S. 2), konzentriert sich im Weiteren jedoch zunächst auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Der folgende historische Abriss ist sehr stark auf die Russische Orthodoxe Kirche und ihre Versuche bezogen, die Orthodoxie im kommunistischen Machtbereich zu beeinflussen. Ein Überblick über die östlichen Kirchen (S. 10 f) ist –wie alle Systematisierungsversuche dieser Art– problematisch; es werden ein kanonischer und ein phänomenologischer Ansatz nebeneinander verwendet, auch wenn die beigefügte Tabelle den Anschein erweckt, verbindlich zu sein: Die Kirchen werden gemäß der in der Orthodoxie üblichen Reihenfolge aufgeführt, zunächst die autokephalen, dann die autonomen. Doch wird nicht zwischen Kirchen mit allgemein anerkanntem und solchen mit umstrittenem Status differenziert. Kirchliche Strukturen von ganz unterschiedlichem Charakter werden vielmehr in eine Kategorie gefasst. Hier auch aufgeführte Gebilde wie die „Kroatische Orthodoxe Kirche“ (hier mit dem Zusatz „currently extinct“), die „Montenegrinische Orthodoxe Kirche“ oder die „Orthodoxe Kirche in Italien“ gehören bestenfalls in eine Abteilung für historische oder gegenwärtige Kuriosa; hier stehen sie unkommentiert neben anerkannten Kirchen.

Die weiteren Kapitel behandeln je eine orthodoxe Kirche. Sie sind in die Teile „Behind the Iron Curtain“ und „Beyond the Iron Curtain“ gegliedert und behandeln gleichermaßen die byzantinische Orthodoxie wie altorientalische Kirchen (so etwa im ersten Teil die Armenier oder im zweiten die Äthiopier). Von jenseits des Eisernen Vorhangs ist jeder der großen Kirchen ein eigener Beitrag gewidmet, von den Kirchen im „Westen“ werden das Ökumenische Patriarchat, die antiken Patriarchate im Orient, die Kirchen von Griechenland, Zypern, Finnland und die Äthiopische Kirche besprochen. Andere Kirchen werden in einem gemeinsamen Kapitel (jeweils am Ende des ersten und des zweiten Teils) kurz zusammengefasst, sodass manche, die interessant gewesen wären (die Orthodoxe Kirche von Japan oder die von Amerika), nur kurz erwähnt werden. Die Orthodoxie in den drei baltischen Staaten wird als „hinter“ dem Eisernen Vorhang angesiedelt, doch für die Periode des Kalten Kriegs werden die Exilgemeinden im Westen behandelt. In Bezug auf das Baltikum konzentriert sich die Darstellung auf die Zeit vor und nach dem Kalten Krieg. Die Bemerkungen über die „Orthodoxe Kirche in Litauen“ zeigen, dass es nicht sinnvoll ist, so starr nach den (heutigen) Staaten vorzugehen.

Hier drängen sich zwei wichtige methodische Kritikpunkte an der Gesamtanlage des vorliegenden Bandes auf: Einerseits werden übergreifende Phänomene nicht erörtert. So hätte man gerne die Problematik der internationalen kirchlichen Beziehungen und der Ökumene analysiert gesehen, und ebenso etwas zur Abstimmung der Kirchenpolitik durch die staatlichen Kirchenbehörden erfahren, die es ja gegeben hat. Andererseits lassen sich etwa die orthodoxen Kirchen von Russland, Bulgarien, Serbien und Albanien nur sehr bedingt als zu einer Gruppe (nämlich „hinter dem Eisernen Vorhang“) gehörend betrachten, waren doch die politischen Umstände in den betreffenden Staaten äußerst divergent. Somit ist zu fragen, ob „Ost“ und „West“ (also „jenseits“ und „diesseits“ des Eisernen Vorhangs) tatsächlich geeignete Kategorien sind, um die Zustände in den einzelnen Staaten adäquat zu erfassen und Gemeinsamkeiten zu erkennen.

Die Qualität der einzelnen Beiträge ist sehr unterschiedlich. Sie sind alle nach einem gemeinsamen Schema aufgebaut: Auf eine historische Darstellung (die oft den vorgegebenen zeitlichen Rahmen unter- und überschreitet) folgen Aufstellungen mit Archiven, kirchlichen Publikationen, statistischen Angaben (Bevölkerungszahl und Zahl der Gemeinden zu bestimmten Zeitpunkten) und Listen mit den kirchlichen und politischen Oberhäuptern; bei letzteren ist zuweilen nicht deutlich, in welchem Bezug sie zu den im Kapitel beschriebenen kirchenhistorischen Entwicklungen stehen. In diesen Aufstellungen sind jedoch immerhin viele Informationen vereint, die sonst schwer zu finden sind. Bei einer Reihe von Beiträgen ist nicht erkennbar, dass sie auf Archivrecherchen beruhen, wie das im einführenden Kapitel angekündigt wurde.

Insgesamt erweckt der Band einen sehr heterogenen Eindruck. Bei einigen Kirchen ist nicht klar, warum sie vorkommen; kanonische und unkanonische, selbstständige und abhängige Kirchen werden parallel nebeneinander besprochen, und sogar ein obskures und weder politisch noch kirchlich bedeutsames Phänomen wie die „Türkische Orthodoxe Kirche“ wird behandelt. Das griechische Erzbistum von Nordamerika erhält einen eigenen Abschnitt im zusammenfassenden Kapitel, andere kirchliche Organisationen in den USA nicht – warum das so ist, wird nicht ersichtlich. Es wäre naheliegend und vermutlich hilfreich gewesen, hier strenger zu unterscheiden, entweder nach einem kirchlichen Kriterium (etwa Kanonizität und Autokephalie/Autonomie), oder nach einem anderen, das man dann benennen müsste. So drängt sich jedoch ein Eindruck von Willkür bei der Auswahl der Kirchen auf.

Insgesamt ergibt sich also ein gemischtes Urteil. Der Band enthält viele Informationen, die man an anderer Stelle so nicht finden kann. Allerdings fehlt es ihm häufig an analytischer Tiefe, und die konzeptionellen Fragen bleiben bestehen. Der Herausgeber hat sich eines wichtigen Themas angenommen, doch ist noch zu warten, bis eine zufriedenstellende Bearbeitung vorliegt.

Eine beckmesserische Schlussbemerkung: „Thomos“ (S. 3) sieht zwar sehr griechisch aus, es muss aber dennoch „tomos“ heißen.

Thomas Bremer, Münster

Zitierweise: Thomas Bremer über: Eastern Christianity and the Cold War, 1945–91. Edited by Lucian N. Leustean. London, New York: Routledge, 2010. XVII. = Routledge Studies in the History of Russia and Eastern Europe, 11. ISBN: 978-0-415-47197-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Bremer_Leustean_Eastern_Christianity.html (Datum des Seitenbesuchs)

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