Brian L. Davies State Power and Community in Early Modern Russia. The Case of Kozlov, 1635–1649. Palgrave Macmillan Houndmills, Basingstoke 2004. X, 308 S., Ktn.

Im Jahr 1635 wurde gute 400 Kilometer südöstlich von Moskau mit dem Bau der Garnisonsstadt Kozlov (heute: Mičurinsk) begonnen. Die Neugründung war Teil der Anstrengungen, die südliche Grenze zu sichern und das Moskauer Reich gegen die Einfälle der Krimtataren und Nogaier zu schützen. Nebst der Stadt wurde in östlicher Richtung eine Reihe von Festungen errichtet. Der Erfolg stellte sich rasch ein, so dass ab 1637 die Befestigungen mit der Belgoroder Linie weiter ausgebaut wurden.

Brian L. Davies, Associate Professor of History an der University of Texas at San Antonio, hat sich zum Ziel gesetzt, die Kolonisierung und Herrschaftsausübung (governance) in Kozlov zu untersuchen. Die große Bedeutung der Garnison in der Verteidigungsstrategie führte zu einer beträchtlichen Aktenproduktion im Dienstlistenamt, dem razrjadnyj prikaz, die es dem Autor ermöglicht hat, zahlreiche Aspekte des Lebens in der Stadt vergleichsweise detailliert zu verfolgen: den Aufbau der Garnison, die Rekrutierung der Kolonisten, deren Ausstattung und Beschäftigung, die Verwaltungsstruktur und Formen des Widerstandes. Der Fokus der Untersuchung liegt auf dem Machtverhältnis zwischen dem Voevoden als dem Vertreter des Staates und der Bevölkerung von Kozlov in den ersten zwanzig Jahren des Bestehens der Stadt. Besondere Berücksichtigung erfährt der Aufstand von 1648.

Davies betrachtet sein Werk als einen Beitrag zur Kontroverse über den Charakter der moskowitischen Herrschaft. Dabei soll die Konzentration auf das Lokale und Spezifische einen adäquaten Zugang zu den damaligen Zuständen in der Verwaltung ermöglichen, die in ihrem Bemühen um Zentralisierung von Improvisation und Anpassung geprägt waren – genau so wie die Antworten der Bevölkerung auf die staatlichen Kontrollversuche. Der Autor sieht seinen Beitrag darin, sich von der Betrachtung der zentralen Institutionen zu lösen und die Eigenheiten der Region zu untersuchen: „We see Kozlov as an example of a distinct, historically specific southern odnodvorets political culture.“ (S. 204)

Anders als viele andere Forscher zollt der Verfasser dem Moskauer Reich eine gewisse Bewunderung für dessen Effizienz in Kozlov und den anderen Garnisonsstädten im Süden, dies vor allem angesichts der Hemmnisse für eine wirksame Administration wie dünne Besiedlung, Mangel an Geld und ausgebildetem Personal. Nach Davies wurde die Effizienz der Moskauer Ämter oft unterschätzt, weil sie an den Möglichkeiten des Polizeistaates des 18. Jahrhunderts gemessen wurde.

Kozlov konnte zügig errichtet werden und war 1639 mit einer Garnison von 2000 Mann freiwilliger Kolonisten ausgestattet, die hauptsächlich aus odnodvorcy, „Einhöfern“, bestand. Von ihnen gehörte gut die Hälfte zum mittleren Dienstgrad der „Bojarenkinder“ (deti bojarskie), von denen allerdings fast alle ebenfalls Einhöfer waren und keine Bauern besaßen. Bei den „niederen“ Dienstleuten handelte es sich um Kosaken und Strelitzen. Diese einfache soziale Struktur der Neugründung führte auch zu einfachen Verwaltungsstrukturen. Die wichtigste Instanz war der Voevode als ziviler und militärischer Statthalter des Zaren, der eine beträchtliche staatliche Reglementierung und Überwachung realisieren konnte. Hingegen verfügte die Kirche noch über wenig Einflussmöglichkeiten, da weder dem zuständigen Erzbischof von Rjazan’ und Murom noch dem Patriarchen die nötigen Strukturen zur Verfügung standen, um Kontrolle auszuüben.

Die Mittel der Bevölkerung, sich gegen den Zugriff und die Ansprüche der Staatsgewalt zur Wehr zu setzen, waren die gleichen wie überall im Moskauer Reich des 17. Jahrhunderts. Das wichtigste, systemkonforme und aufs Ganze gesehen auch aussichtsreichste war die Bittschrift, die von Einzelpersonen oder von Kollektiven eingereicht werden konnte. Davies stellt heraus, dass dieses Petitionsrecht allen Untertanen des Moskauer Reiches zustand als eine der Gegenleistungen für ihre lebenslängliche Dienstpflicht. Wie der Autor richtig bemerkt, hatten die Untertanen damit die Möglichkeit, gewisse Bedingungen der Dienstpflicht zu verhandeln, nicht aber, diese an sich in Frage zu stellen. Systemkonform und häufig eingesetzt war zudem die Bestechung. Weitere Widerstandsformen waren Bummelei, Verweigerung, Betrug, Beschimpfungen und die Flucht. 1648 kam es in Kozlov zu einem Aufstand gegen den Voevoden. Solche Aktionen waren aber im Moskauer Reich selten erfolgreich und führten in der Regel zu harschen Repressionsmaßnahmen.

Insgesamt liefert das Werk durch die sorgfältige Auswertung des reichhaltigen Archivmaterials zu Kozlov wertvolle Informationen über die Art und Weise, wie eine Grenzstadt errichtet, bemannt und dann verwaltet wurde, ebenso über die Möglichkeiten und Grenzen der staatlichen Durchdringung entfernter, jedoch strategisch wichtiger Regionen. Weit weniger Platz nehmen die Ausführungen zur Antwort der Einwohner Kozlovs auf die staatlichen Maßnahmen ein. Es wird deutlich, dass diese Seite schwieriger zu fassen ist. Die Erkenntnisse des Autors in diesem Bereich sind nicht neu, sie wur­den in der deutschsprachigen Forschung zum 17. Jahrhundert, die der Autor allerdings nicht rezipiert hat, großenteils schon früher gewonnen und formuliert.

Herauszufinden, welche Forschungsarbeiten der Autor berücksichtigt hat, wird der Leserin und dem Leser nicht einfach gemacht – das Werk weist leider keine Bibliographie auf; die Angaben zur verwendeten Literatur sind in den Anmerkungen versteckt.

Nada Boškovska, Zürich

Zitierweise: Nada Boškovska über: Brian L. Davies State Power and Community in Early Modern Russia. The Case of Kozlov, 1635–1649. Palgrave Macmillan Houndmills, Basingstoke 2004. X, 308 S. ISBN: 1-4039-3213-1, in: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Boskovska_Davies_State_Power_and_Community.html (Datum des Seitenbesuchs)