Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 62 (2014), 1, S. 130-131

Verfasst von: Hans-Jürgen Bömelburg

 

Walter Leitsch: Das Leben am Hof König Sigismunds III. von Polen. 4 Bde. Wien 2009, 2.860 S. ISBN: 9788376760148, 9788376760155, 9788376760162, 9788376760179.

Die vierbändige Darstellung, für die Walter Leitsch (1926–2010) seit den 1970er Jahren Material sichtete und die zwischen 1992 und 2002 niedergeschrieben wurde, widmet sich einem wenig bearbeiteten und aufgrund der komplexen Quellenverhältnisse nur sehr schwer zugänglichen Thema: dem Krakauer und Warschauer Hof des zwischen 1587–1632 über 45 Jahre regierenden polnischen (und 1594–1599 schwedischen) Königs Sigismund III. (1566–1632). Da die Warschauer Archivüberlieferung bereits 1655/1656 zerstört, zerrissen und teilweise nach Schweden verbracht wurde, war dieses Thema nur durch eine breite Arbeit in zahlreichen europäischen Archiven konzipierbar. Leitsch gibt 20 Archive und 18 Handschriftensammlungen an, in denen er arbeitete. Die umfangreichsten Materialien stammen aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien und dem Bayrischen Hauptstaatsarchiv München (insbesondere Korrespondenzen), den Vatikanischen Archiven (umfangreiche Berichte der Nuntien) sowie dem Archiv Alter Akten in Warschau und dem Riksarkivet in Stockholm (hier v.a. Akten- und Rechnungsüberlieferung, Adelskorrespondenzen).

Fügt man noch hinzu, dass die höfische Überlieferung in mindestens fünf Sprachen (latein, deutsch, polnisch, italienisch, französisch) vorliegt und teilweise erhebliche paläographische Probleme aufwirft, so wird der Umfang und der Schwierigkeitsgrad des gesamten Unterfangens sichtbar. Von polnischer Seite ist ein solches Unternehmen auch wegen der erforderlichen Reisemittel und Sprachkenntnisse niemals in Angriff genommen worden; der Darstellung liegt eine unikate, von Leitsch in mehreren Jahrzehnten zusammengetragene Materialbasis zugrunde.

Für seine Darstellung berücksichtigt Leitsch die umfangreiche polnische Fachliteratur bis 1998, später erschienene Darstellungen konnten nicht mehr einbezogen werden. Zur polnischen Historiographie pflegt Leitsch eine kritische, manchmal auch polemische Distanz: Diese sei in Inhalt und Tendenz von der hof- und königskritischen Einstellung eines Jan Zamoyski oder Krzysztof Radziwiłł geprägt; polnische Historiker hätten ältere Urteile der adlig-republikanischen Opposition fortgeschrieben und würden dem Monarchen nicht gerecht. Diese Einschätzung leitet den Autor bei vielen seiner Urteile, etwa wenn er Zamoyski als „heimtückisch“, Krzysztof Radziwiłł als „hoffärtig“ bezeichnet. Auf der anderen Seite wird Sigismund grundsätzlich verteidigt; die Darstellung besitzt einen – für einen mit der polnischen Literatur weniger vertrauten Leser nur schwer entschlüsselbaren – Subtext, der eine positive Umwertung Sigismunds anstrebt.

Bei dieser Konzentration auf Wertungen ad personam entgehen Leitsch wiederholt die grundsätzlichen Konfliktfelder der Epoche von Sigismund III.: Dem zu einem erheblichen Teil deutschsprachigen Hof Sigismunds gelang es nicht, ein Einvernehmen mit den adligen Eliten aufzubauen, die die teilweise von einer Arcanapolitik und Geheimdiplomatie geprägten Aktivitäten des Königs mit Misstrauen und Distanz beobachteten. Konfessionelle Spannungen, Konflikte und Ausschreitungen werden von Leitsch nur personal gedeutet (Sigismund habe auch Protestanten in Grenzen geduldet, aber Katholiken bevorzugt), ohne die dahinterstehenden grundsätzlichen Spannungen in Polen-Litauen, das keine katholische Bevölkerungsmehrheit hatte, aber immer stärker von der katholischen Reform erfasst wurde, zu berücksichtigen. Die Katholizität des Hofes wird beschrieben, aber nicht in ihren Auswirkungen erfasst.

Methodisch konzentriert sich die Darstellung auf eine eng gefasste Geschichte des Hofes: Nacheinander werden höfische Finanzen, Hofstaat und Personal, der König und seine Familie, die beiden habsburgischen Frauen Sigismunds, die insgesamt zwölf Kinder aus beiden Ehen und deren Erziehung, die Vertrauten des Monarchen, Ernährung und Umwelt, Schmuck, Reisen, Gesundheit und Krankheit beschrieben. Ausgeblendet bleibt weitgehend der politische Raum: Wie Politik am Hofe Sigismunds III. gemacht wurde, wie die militärischen Interventionen (etwa in Schweden, Livland oder Moskau) vorbereitet und begleitet wurden oder wie Hof und polnischer Reichstag während der 40 Sejmverhandlungen zu Regierungszeiten von Sigismund III. miteinander agierten, darüber erfährt der Leser auf über 2.600 Seiten Text nur wenig. Zwar finden sich verstreut über den Text zahlreiche spannende Quellenfunde aus politischen, kontroverstheologischen oder kulturellen Diskussionen, doch werden diese in der Regel nicht in einen weiteren politischen Kontext eingeordnet oder unter politischen und kulturhistorischen Fragestellungen ausgewertet.

Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Hof und den beiden Residenzstädten Krakau und Wien bzw. zum gesamten polnisch-litauischen Reichsverband. Kommunikation zwischen Hof und Stadt oder zwischen dem Wasahof und den polnisch-litauischen Ständen spielt in der Darstellung keine Rolle. Erschlossen werden die vier Bände durch Personenregister, ein Register von Dingen, Körperteilen, Tieren und Pflanzen sowie ein nach unklaren Kriterien aufgebautes „Register der Orte, Länder, Funktionen, Titel, Gruppen und Erscheinungen“.

Was leistet die Darstellung also insgesamt? Der Leser erhält erstmals einen quellennahen und sehr detailgetreuen Einblick in das Leben am polnisch-litauischen Hof. Prosopographisch werden die Akteure erfasst und in ihren Kompetenzen und Arbeitsbereichen beschrieben. Hier korrigiert Leitsch vielfach ältere polnische Arbeiten. Erstmals werden auch der Hofstaat der beiden Königinnen und das deutschsprachige Frauenzimmer mit in den Blick genommen. Insbesondere für das Alltagsleben am Hof ist die Darstellung deshalb eine Fundgrube. All diese Dinge sind als dauerhafte Forschungsleistungen anzusehen.

Andererseits gelingt es dem Autor nicht, den königlichen Hof in die politischen Strukturen Polen-Litauens einzubetten und seine Funktionalität bzw. Disfunktionalität zu beschreiben. Auch die internationalen Elemente dieses Hofes, etwa der rudimentäre, während der gesamten Regierungszeit aufrechterhaltene schwedische Hof, muss sich der Leser mühsam an verschiedenen Stellen zusammensuchen.

Zu hoffen ist, dass die quellengesättigte Darstellung von Leitsch zukünftig Historiker dazu anregen wird, sich auf der Basis der hier ausgebreiteten und bei weitem nicht gänzlich ausgewerteten Materialfülle mit dem bisher eher vernachlässigten Wasahof auch in seinen gesamtstaatlichen und politischen Implikationen näher zu beschäftigten – genügend Material bietet die Darstellung allemal.

Hans-Jürgen Bömelburg, Gießen

Zitierweise: Hans-Jürgen Bömelburg über: Walter Leitsch: Das Leben am Hof König Sigismunds III. von Polen. 4 Bde. Wien 2009, 2.860 S. ISBN: 9788376760148, 9788376760155, 9788376760162, 9788376760179, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Boemelburg_Leitsch_Leben_am_Hof.html (Datum des Seitenbesuchs)

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