Matthias Stadelmann Die Romanovs. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart 2008. 275 S. = Kohlhammer-Urban-Taschenbücher, 620.
Stadelmann stellt mit seinem handlichen, dicht geschriebenen Band keine Dynastiegeschichte vor, sondern – und das ist sinnvoll – eine solide Geschichte Russlands „von oben“. In einem chronologischen Durchgang von Michael bis Nikolaus II. präsentiert er die wesentlichen politischen und gesellschaftlichen Ereignisse. Von der Makroebene aus führt er lebendig durch die 300-jährige Geschichte in Innen- und Außenpolitik. Er stellt dynastische Chancen und Machtspiele vor, an denen die Herrschaftszeit der Romanovs reich genug war. Dabei gleitet er nie ins Anekdotische ab.
Mit diesem Titel ist – anders als auf dem florierenden russischsprachigen Markt – seit mehr als zehn Jahren das erste Überblickswerk in westlicher Sprache zum Thema erschienen. Im Gegensatz zu den Mitte der 1990er Jahre veröffentlichten Sammelbänden (Hans-Joachim Torke (Hg.) Die russischen Zaren, 1547–1917. München 1995; V. Donald J. Raleigh (Hg.) / A.A. Iskenderov (Bearb.) The Emperors and Empresses of Russia. Rediscovering the Romanovs. Armonk, NY/London 1996) eignet sich Stadelmanns Buch am besten zur konzentrierten Lektüre, weniger zum Blättern und schnellen Orientieren in Einzelaspekten. Neue Erkenntnisse wie seinerzeit der monumentale und aus Archivmaterial erarbeitete Band von W. Bruce Lincoln (The Romanovs. Autocrats of All the Russians. London 1981) oder neue Interpretationen möchte er offenbar nicht bieten, sondern vielmehr einen Einstieg in die politische Geschichte des eurasischen Imperiums. Die Anlage des Bandes bringt es mit sich, dass etwas undeutlich bleibt, wie die Leistungen der Dynastie für die russländische bzw. die Weltgeschichte zu bewerten sind. Die Formel vom Fortschritt aus dem „düsteren, verschlossenen“ Zarentum zur glanzvollen Monarchie (S. 11) scheint dafür zu blass.
Die in dieser Reihe nicht üblichen Anmerkungen werden durch ein umfangreicheres, thematisch gegliedertes Literaturverzeichnis von 12 Seiten ausgeglichen. Detailliert sind die sechs Stammtafeln, die auch viele nicht so sehr für die russländische als für die Geschichte der Dynastie interessante Nachkommen berücksichtigen. Für die schnelle Orientierung hätte man sich noch ein Sachregister gewünscht. Ein aufmerksames Lektorat hätte zudem die wenigen Druckfehler (wie beim Datum des Dekabristenaufstandes auf S. 18 und bei den fehlenden Lebensdaten Ivans IV. auf S. 251) sowie etwas saloppe Formulierungen („abschwatzen“, S. 38; „auf die Nerven zu gehen“, S. 57f.) bereinigen können. Der insgesamt jedoch gut und flüssig geschriebene Überblick eignet sich ebenso für einen breiteren Leserkreis, der sich auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse über die politische Geschichte Russlands in der Neuzeit informieren möchte, wie auch als Einführung für Studierende.
Ragna Boden, Bochum
Zitierweise: Ragna Boden über: Matthias Stadelmann: Die Romanovs. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart 2008. = Kohlhammer-Urban-Taschenbücher 620. ISBN: 978-3-17-018947-8, in: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Boden_Stadelmann_Die_Romanovs.html (Datum des Seitenbesuchs)