Léopold L.S. Braun, AA In Lubianka’s Shadow. The Memoirs of an American Priest in Stalin’s Moscow, 1934–1945. Ed. by Gary M. Hamburg. The University of Notre Dame Press Notre Dame, IN 2006. LXXXII, 352 S., 8 Taf. mit 17 Abb. ISBN: 978-0-268-02199-3.

Als die USA und die Sowjetunion im Jahr 1933 diplomatische Beziehungen aufnahmen, wurden nicht nur Botschaften in Moskau und Washington und Moskau eröffnet. Die US-Regierung hatte bei den Verhandlungen über die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen erreichen können, dass das sowjetische Regime die Anwesenheit von Priestern in der Moskauer Botschaft akzeptierte. Und so kam es, dass im Frühjahr 1934 mit den amerikanischen Diplomaten auch ein katholischer Kaplan in Moskau eintraf. Pater Leopold Braun blieb 11 Jahre in Moskau, er erlebte die Zeit des Großen Terrors, der antireligiösen Kampagnen und des Zweiten Weltkrieges, und er konnte den Alltag im Stalinismus beobachten, ohne jemals selbst in Gefahr zu geraten. Seine Stellung war zweifellos einzigartig: ein Geistlicher, der Gottesdienste in einer Kirche in der Nähe des Lubjanka-Gefängnisses abhielt und durch diplomatische Immunität vor der Verfolgung des stalinistischen Regimes geschützt war. 20 Jahre später verfasste Braun seine Erinnerungen an jene Zeit. Sie blieben unveröffentlicht, weil Braun kurz nach dem Abschluss seiner Memoiren starb. Nunmehr hat sie Gary Hamburg wiederentdeckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Leider halten die Erinnerungen nicht, was der Klappentext und der Herausgeber versprechen. Denn Pater Braun war weder ein guter Beobachter noch ein talentierter Schriftsteller. Er war einfach nur ein Priester, der eine Aufgabe zu erledigen hatte: Sakramente zu spenden, Gottesdienst und Seelsorge zu organisieren und die religiösen Bedürfnisse der Diplomaten zu befriedigen. In seiner Eigenschaft als Geistlicher kam Braun auch mit Russen zusammen, die nach den Sterbesakramenten verlangten oder seinem Beistand suchten. Man kann auch erfahren, dass die sowjetischen Behörden versuchten, ihn an seiner Arbeit zu hindern, dass NKVD-Agenten ihn beobachteten und schikanierten und dass Menschen, die seine Kirche aufgesucht hatten, von der Geheimpolizei verhaftet wurden. Nur muss man diese Informationen aus dem unstrukturierten und langweiligen Text mühsam heraussuchen.

Mehr als die Hälfte des Buches besteht aus Belehrungen, die offenkundig der Aufklärung amerikanischer Leser über das Leben in der Sowjetunion dienen sollten. Braun erklärt die Verfassung der UdSSR, die Organisation des NKVD; er berichtet über die Volkszählung des Jahres 1937, die antireligiöse Politik der Kommunisten und die Kehrtwende während des Zweiten Weltkrieges, die Religionspolitik der deutschen Besatzer und die Ermordung polnischer Offiziere im Wald von Katyn, ohne dass deutlich wird, in welcher Verbindung diese Ereignisse mit seinem eigenen Leben in Moskau standen. Diese Geschichten klingen, als hätte Braun sie aus einem Handbuch oder einer Überblicksdarstellung zur Geschichte der Sowjetunion abgeschrieben.

Brauns Erzählungen über den Alltag in Moskau erschöpfen sich in der ermüdenden Aufzählung von Banalitäten. Fast alles, was er über die tragischen Ereignisse der 30er und 40er Jahre zu berichten weiß, erzählt er aus zweiter Hand. Abends seien Lastwagen des NKVD vor dem Lubjanka-Gefängnis vorgefahren und Gefangene ausgeladen worden, schreibt Braun. Und er fügt hinzu, davon habe er gehört. Wozu braucht man dann aber eine Erzählung, die nur wiedergibt, was in ungezählten Büchern schon tausendfach gesagt worden ist? Darauf findet auch der Herausgeber keine Antwort, der seine Aufgabe offenkundig nur darin sah, den Text zwischen zwei Buchdeckel zu pressen.

Jörg Baberowski, Berlin

Zitierweise: Jörg Baberowski über: Léopold L.S. Braun, AA In Lubianka’s Shadow. The Memoirs of an American Priest in Stalin’s Moscow, 1934–1945. Ed. by Gary M. Hamburg. The University of Notre Dame Press Notre Dame, IN 2006. LXXXII, 352 S., 8 Taf. mit 17 Abb. ISBN: 978-0-268-02199-3, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 2, S. 301-302: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Baberowski_Braun_Lubianka.html (Datum des Seitenbesuchs)