Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 2, S. 269-271

Verfasst von: Christoph Augustynowicz

 

Isabel Röskau-Rydel: Niemiecko-austriackie rodziny urzędnicze w Galicji 1772–1918. Kariery zawodowe – środowisko – akulturacja i asymilacja. Kraków: Wydawn. Naukowe Uniwersytetu Pedagogicznego, 2011. 440 S., Tab. = Uniwersytet Pedagogiczny im. Komisji Edukacji Narodowej. Prace Monograficzne, 588. ISBN: 978-83-7271-665-1.

Das Aufzeigen von Akkulturations- und Assimilationsprozessen im Detail kann für das Aufbrechen verfestigter historischer und historiographischer Vorstellungen ein fruchtbarer Weg sein. Die umfassende Studie über deutsch-österreichische Beamtenfamilien in Galizien im 19. Jahrhundert (1772–1918), die Isabel Röskau-Rydel vorgelegt hat, bestätigt dies. Sie untersucht Beamte und ihre Familien unter Berücksichtigung der kulturhistorischen KategorieGenerationund auf Basis umfangreicher Archivstudien und publizierter einschlägiger Quellen (Schematismen, Genealogien, Periodika, Erinnerungen, Reiseberichte, Korrespondenzen) auf Konstanten und Wandlungsprozesse in ihren kulturellen und nationalen Einstellungen.

Kapitel 1 führt umfassend in Forschungsstand und Quellenlage, in die methodischen Fragen vor allem rund um die Begriffsnester der Akkulturation, der Assimilation, sowie des kulturellen und nationalen Selbstverständnisses und in deren Anwendung auf die verwendete Klassifikation für die untersuchten Beamten(familien) Galiziens (Deutscher, Österreicher, Deutschösterreicher) ein. Kapitel 2 skizziert entlang ereignisgeschichtlicher Etappen, begrenzt durch die Jahre 1830, 1848 und 1869, die Geschichte der Verwaltung Galiziens im Rahmen der Habsburgermonarchie unter besonderer Berücksichtigung der Bildungsinstitutionen und schafft somit einen Hintergrund für die Biographien und Genealogien; als wesentliche Zäsur wird naheliegenderweise 1848 angesetzt. Grundlegend, gründlich und entsprechend kritisch gegenüber den statistischen Angaben der untersuchten Zeit werden die ethnischen und konfessionellen Verhältnisse diskutiert; darüber hinaus wird das Verhältnis der bei der habsburgischen Machtübernahme 1772 bereits im Land befindlichen und in den ersten Jahren danach zugewanderten deutschsprachigen Bevölkerung zur gesamten Bevölkerung in Beziehung gesetzt. Kapitel 3 ergänzt diese Ausführungen durch die Einblendung von Selbstwahrnehmungen deutschösterreichischer Beamter wie auch von Fremdwahrnehmungen durch die anderen Ethnien Galiziens und schließlich vertiefend durch den exemplarisch herausgearbeiteten Feuilletonisten Jan Lam. Dabei fällt zunächst vor allem die unvorteilhafte Charakterisierung durch polnische Intellektuelle aufein Bild, das sich erst mit der Polonisierung der Beamten im Rahmen der sogenannten galizischen Autonomie seit den 1860-er Jahren änderte.

Als Kern der Arbeit kann Kapitel 4 (S. 159–337) bezeichnet werden. Hier werden zehn deutschösterreichische Beamten- und Professorenfamilien (aum, Seeling, Zoll, Dietl, Mehoffer, Ostermann, Reitzenheim, Pol(l), Strasser, Wachholz), im Wesentlichen chronologisch nach Dienstantritt in Galizien geordnet, hinsichtlich ihrer Akkulturation und Assimilation an die polnische, seltener an die ruthenische Gesellschaft charakterisiert. Wert gelegt wurde von der Autorin bei der Auswahl dieser Fallbeispiele auf eine Quellenlage, welche die Entwicklung während des gesamten Zeitraums und teilweise darüber hinaus bis 1945 spiegelt. Die Untersuchten werden dabeiwenig überraschend, aber profund belegtals nach Galizien importierte Elite charakterisiert; darüber hinaus wird ihre Kompetenz im Umgang mit mehrsprachigen Milieus hervorgehoben, welche die meisten der untersuchten Beamtenfamilien aus anderen Teilen der Habsburgermonarchie mitbrachten. Es wird klar, dass auch die Beamten(familien), die keinen Bezug zu slawischsprachigen Lebenswelten hatten, Zugang zur multiethnischen Gesellschaft Galiziens und vor allem Lembergs fanden. Darüber hinaus wird aber nun auch ganz konkret die DimensionGenerationeingeblendet, werden ausdrücklich die Wirkungen der Gesellschafts- und Institutionen-Landschaft Galizien auf die Beamten/Professoren und ihre Familien, sowie Kulturkontakte und Sozialisation in der zweiten und dritten Generation untersucht. Bei der Identitätsorientierung spielten auch politische Faktoren eine Rolle; vor allem seit 1830 setzt eine Reflexion der eigenen Identität in der zweiten Generation eintatsächlich wirkte vor allem der Novemberaufstand häufig als Auslöser einer Identitätskrise bei Studierenden und jungen Beamten aus deutsch­österreichischem Milieu; einige nahmen am Kampf gegen die russische Herrschaft im Königreich Polen teil. Akkulturationsprozesse werden in qualitativer und quantitativer Hinsicht differenziert, bei manchen Familien gingen sie bis zur Assimilation an das polnische Umfeld. Die Verfasserin macht klar, dass dieser Wechsel nur vor dem Hintergrund einer in Administration und Bildungsinstitutionen aufrechterhaltenen Bedeutung der polnischen Sprache möglich war. Auch außerinstitutionell-lebensweltliche Faktoren der Akkulturation (Ammen, Schulkameraden) sind in den Fallbeispielen gut nachweisbar; nicht selten ging die Bruchlinie zwischen Verharren im Deutschsprachigen und Akkulturation/Assimilation an das Polnische dabei mitten durch Familien. So wird zum einen das Bild einer ethno-kulturell abgehobenen deutschsprachigen Beamtenschicht in Galizien dekonstruiert, zum anderen wird aber auch der in der polnischen Historiographie häufig zu findende Befund der gleichsam selbstverständlichen Polonisierung der galizischen Beamten hinterfragt.

Kapitel 5 schließlich fasst die Erkenntnisse kurz und bündig zusammen. Zentrale Kategorien dieser abschließenden Analyse sind politische Veränderungen und Akkulturation in der ersten, zweiten und dritten Generation anhand unterschiedlicher Faktoren (persönliche und dienstliche Kontakte, Heirat, Religion, Erziehung und Bildung, Namensgebung), wobei ab der zweiten Generation die Kapazität hin zur Assimilation gesehen wird. Als ausdrückliche Bremse für die Polonisierung wird der Heeresdienst hervorgehoben. Genealogien der untersuchten Familien und tabellarische Aufstellungen grundlegender demographischer Daten zu Galizien runden den Band ab.

Die Autorin verfügt über die Kenntnisse zu einer methodisch breit vernetzten, polnisch-, deutsch- und englischsprachige Anregungen verarbeitenden Diskussion zu Akkulturation, Assimilation, sowie zu kulturellem/nationalem Selbstverständnis. Auf dieser Grundlage wurden umfassende Archivbestände in Österreich (Wien), Polen (Krakau, Breslau, Warschau, Wieliczka), der Ukraine (Lemberg) und Frankreich (Paris) akribisch beforscht und ausgewertet. Modernes, internationales Forschungsinstrumentarium an die Quellen heranzutragen und unverkrampft auf sie anzuwenden ist dann wohl die gar nicht hoch genug einzuschätzende Qualität dieser Arbeit.

Erschwerend für die Erkenntnis ist gelegentlich die im Hauptteil vorgenommene Anordnung der Beamten ausschließlich nach biographisch-genealogischen Kriterien. Der systematische Zugang zu Mustern und Kategorien von Akkulturation, Assimilation und Identität wird dadurch verstellt und dem eigentlich analytischen, aber knappen (S. 339–358) Abschnitt vorbehalten.

Dies tut aber dem Umstand keinen Abbruch, dass mit der vorliegenden Monographie ein grundlegender Baustein zur Überwindung noch immer persistenter nationaler und national befangener historiographischer Narrative vorliegt. Das Laboratorium Galizien hat sich als Themengeber diesbezüglich einmal mehr als produktiv erwiesen und wird dies auch weiterhin sein.

Christoph Augustynowicz, Wien

Zitierweise: Christoph Augustynowicz über: Isabel Röskau-Rydel: Niemiecko-austriackie rodziny urzędnicze w Galicji 1772–1918. Kariery zawodowe – środowisko – akulturacja i asymilacja. Kraków: Wydawn. Naukowe Uniwersytetu Pedagogicznego, 2011. 440 S., Tab. = Uniwersytet Pedagogiczny im. Komisji Edukacji Narodowej. Prace Monograficzne, 588. ISBN: 978-83-7271-665-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Augustynowicz_Roeskau-Rydel_Niemiecko-austriackie_rodziny_urzednicze.html (Datum des Seitenbesuchs)

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