Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 1, S. 125-126

Verfasst von: Manfred Alexander

 

Petr Hlaváček: Die böhmischen Franziskaner im ausgehenden Mittelalter. Studien zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostmitteleuropas. Stuttgart: Steiner, 2011. 230 S. = Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropas, 40. ISBN: 978-3-515-09674-4.

Der Verfasser nennt seine Arbeit zwar eine „Monografie“ mit dem Anspruch einer „systematischen Strukturanalyse“ (S. 15), schränkt aber die Erwartung des Lesers auf eine geschlossene Darstellung der Geschichte der böhmischen Franziskaner selbst ein, indem er korrekt darauf verweist, dass es sich hier um eine Sammlung von Aufsätzen zu ausgewählten Teilbereichen der Geschichte der böhmischen Franziskaner handelt, der dann noch vier Exkurse angefügt sind. Der behandelte Zeitraum (1450 bis 1530) ist eine „Wendezeit“, die mit der Reise des italienischen Franziskaners Johannes von Capistrano nach Mitteleuropa beginnt und das komplizierte Geflecht religiöser und frühnationaler Streitigkeiten während der Herrschaft des „Ketzerkönigs“ Georg von Podiebrad als einen ihrer Höhepunkte hat; nach kurzer Skizzierung von dessen Problemen mit dem Papst und (als deren Ergebnis) mit dem Gegenkönig Matthias Corvinus folgt dann eine „innere Geschichte“ der böhmischen Franziskaner, die in der Konfrontation mit den Ideen der Frühaufklärung und Luthers schließlich in der „Selbstzerstörung“ der Ordensprovinz enden.

Der erste Aufsatz bietet eine kurze Geschichte der Franziskaner seit Genehmigung des neuen Ordens durch den Papst Innozenz III. im Jahre 1209 und führt dann in die Konflikte zwischen den „Observanten“, die die Lehre des Franz von Assisi ohne Ortsbindung der Ordensleute wortgetreu leben wollten, und den „Konventualen“, die im Sinne der anderen Orden eine Bindung an ein Kloster bevorzugten. Die „Observanten“ bildeten die überwältigende Mehrheit der Brüder in der „cismontanen“ Ordensprovinz, die Böhmen mit seinen Nebenländern, Polen-Litauen, Ungarn und Österreich mit Italien zusammenbanden. Die andere Richtung der Franziskaner dieser Zeit wird dann nur noch im Zusammenhang mit Konflikten im Streit um einzelne Klöster in Böhmen erwähnt; von anderen Orden ist keine Rede, und die Rivalität mit den Dominikaner wird erst an später Stelle (S. 112) mit wenigen Sätzen gestreift. Thematisiert wird hingegen die enge Bindung an Italien und die multiethnische Struktur dieser Ordensprovinz, die in einer Kombination von straffer Leitung von oben und Wahl der Repräsentanten von unten auf Ordenssynoden eine effektive Verwaltung besaß.

Überraschend modern ist dann die Thematik des zweiten Aufsatzes, der den Sprachenstreit in der böhmischen Provinz behandelt. Wegen der großen Zahl von deutschsprachigen Brüdern aus dem Nebenland Schlesien sahen sich die tschechischsprachigen Ordensmitglieder um den politischen Anspruch auf die Leitung der Ordensprovinz in jenem Landesteil gebracht, in dem die tschechische Bevölkerung die Mehrheit stellte. Wie wenig christlich dieser Streit ausgefochten wurde, zeigte sich in der Schändung des Grabes eines gemäßigten deutschsprachigen Ordensvikars im Jahre 1488 (S. 52). Modern ist auch die Unterscheidung zwischen teutoni wegen ihrer deutschen Muttersprache und almanus, dem Mitbruder aus dem römischen Reich (S. 58, Anm. 140).

Der dritte Ansatz gilt der Bildungsproblematik. Franz von Assisi hatte die theologische Bildung zwar geachtet, aber für sich und seine Anhänger nicht als notwendig angesehen. Dennoch machten die Predigten – die eigentliche „Waffe“ der Franziskaner (S. 94) – aber Bildung notwendig. Diplomatie und Streitgespräche mit den katholischen Rivalen und den „ketzerischen“ Gegnern, auch der Aufstieg in der Hierarchie der Kirche erforderten hochgebildete Ordensmitglieder; dennoch ergaben sich immer wieder Spannungen in den Klöstern, wo einerseits wertvolle Bibliotheken gesammelt wurden, andererseits der Zugang zu ihnen den Brüdern erschwert wurde.

Dieses Thema leitet zum letzten Aufsatz der Sammlung über, nämlich der Spannung zwischen Romtreue auf der einen und dem Selbstbewusstsein einer Elite, die die Armut Christi leben wollte, auf der anderen Seite. Die Neigung der Franziskaner zum „Nonkonformismus“, also eine kritische Einstellung zu Prunk und Glanz der Weltkirche, öffnete den Weg mancher Brüder zur Frühaufklärung und schließlich zum Luthertum, dem sich gegen Ende des Untersuchungszeitraums fast alle Brüder der böhmischen Ordens­provinz zuwandten. Der Verfasser fasst dies in ein Bild: Ein Hund auf der Jagd nach einer Beute wird selbst gejagt, und als er seine Beute erreicht, bricht er tot zusammen (S. 123). Die Dauerkrise der böhmischen Franziskaner endete de facto mit einer Selbstzerstörung der Ordensprovinz.

Den Aufsätzen folgen vier Exkurse, die Personen der vorherigen Darstellung gewidmet sind oder Randthemen behandeln, beispielsweise die ärztliche Tätigkeit mit wirtschaftlichem Erfolg im Gegensatz zum Armutsideal des Ordens. Die Wiederholung ganzer Passagen wirkt hier z.T. aufdringlich. Die angefügten Tabellen über Zahlen und Namen zur Ordensprovinz sind ein Muster für eine entsagungsvolle mediävistische Kleinarbeit an schwierigen Quellen.

Das Buch bietet gelehrte Abhandlungen zu diffizilen Problemen, aber manches fehlt auch darin. Kein Wort wird über den Antisemitismus von Capistrano verloren, dessen Predigten z.B. in Breslau 1453 zu einem Pogrom geführt haben; anderes wird mit der zurückhaltenden Diktion des Mediävisten nur zaghaft thematisiert, wie die Kriegshetzerei gegen den „Ketzerkönig“ und die Hussiten, wie später gegen die Lutheraner; schließlich die Bedenkenlosigkeit in der Propagierung von Gewalt durch die Hierarchen im Namen der christlichen Religion.

Manfred Alexander, Köln

Zitierweise: Manfred Alexander über: Petr Hlaváček: Die böhmischen Franziskaner im ausgehenden Mittelalter. Studien zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostmitteleuropas. Stuttgart: Steiner, 2011. 230 S. = Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropas, 40. ISBN: 978-3-515-09674-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Alexander_Hlavacek_Franziskaner.html (Datum des Seitenbesuchs)

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