Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 2, S. 282-283

Verfasst von: Dariusz Adamczyk

 

Italy and Europes Eastern Border. (1204–1669). Ed. by Iulian Mihai Damian / Ioan-Aurel Pop /  Mihailo St. Popović / Alexandru Simon. Frankfurt a.M. [usw.]: Lang, 2012. 358 S. = Eastern and Central European Studies, 1. ISBN: 978-3-631-61857-8.

Europas östliche Grenzen in einem langen Zeitraum von gut 450 Jahren zu untersuchen ist eine durchaus ambitionierte Aufgabe, die nur in einer interdisziplinären und internationalen Zusammenarbeit bewältigt werden kann. Diesem Vorhaben versuchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer im November 2010 in Rom abgehaltenen Konferenz gerecht zu werden, deren Ergebnisse nun publiziert vorliegen. Die geweckten Erwartungen werden jedoch gleich am Anfang der Lektüre enttäuscht: Denn die Herausgeber des Sammelbandes haben auf eine Einleitung in die Thematik verzichtet und keine Fragen formuliert, die einen roten Faden ergeben würden. Allen voran fehlt hier die chronologische und räumliche Zuordnung. Dass die Daten 1204 beziehungsweise 1669 die Zeitspanne zwischen dem 4. Kreuzzug und der Einnahme der Stadt Candia (Iraklio) durch die Osmanen, die zugleich die Eroberung der Insel Kreta beendet hat, markieren, kann sich ein halbwegs gebildeter Leser selbst erschließen. Beide Zäsuren werden allerdings nicht thematisiert und in Kontexte gestellt. Dasselbe gilt für die Geographie der behandelten Regionen. Wie weit reicht die östliche Grenze Europas? Wird sie kulturell, politisch, ökonomisch oder gesellschaftlich definiert? Welche Formen von Interaktionen und Transfers lassen sich zwischen Italien und den östlichen Regionen des Mittelmeerraumes unterscheiden? Wie ordnet sich der Sammelband in die bestehenden Forschungslandschaften ein? Eine systematische Auseinandersetzung mit diesen Aspekten mitsamt Karte(n) wäre hier vonnöten.

Die fehlende inhaltliche Zuordnung spiegelt sich auch in der Struktur des Sammelbandes wider. Die Herausgeber haben sich nicht der Mühe unterzogen, die Texte in thematische Teile zu gliedern; stattdessen entschieden sie sich für eine alphabetische Reihenfolge. So erscheint das Buch wie ein bloßes, zusammenhangloses Sammelsurium von Aufsätzen in englischer, französischer und deutscher Sprache, die allein die Beschäftigung mit Italien beziehungsweise dem östlichen Europa, und hier vorwiegend Byzanz bzw. dem Balkan, verbindet. Versuchen wir also das zu tun, was die Herausgeber eigentlich hätten tun sollen: zu ordnen. Demnach befassen sich die meisten Beiträge mit denKreuzzügengegen die Osmanen beziehungsweise den Interaktionen verschiedener christlicher Staaten mit den letzteren im 15., vereinzelt auch schon im 14. Jahrhundert (Emanuel Constantin Antoche, Anna Calia, Paolo Cherubini, Iulian M. Damian, Emir O. Filipović, Borislav Girgin, Matteo Magnani, Ioan-Aurel Pop und Alexandru Simon). Die übrigen zwölf Texte decken ein sehr breites Themenspektrum ab, das nicht heterogener sein könnte. Dessen ungeachtet ließen sich hier einige nach inhaltlichen, geografischen oder chronologischen Kriterien strukturierte Gruppen unterscheiden. So konstituierten zum Beispiel die Aufsätze über die Interaktionen zwischen abchasischen Piraten und den Osmanen im Schwarzen Meer (Güneş Işiksel), die Resonanz auf Maltas Belagerung durch die Osmanen im Jahr 1565 (Emmanuelle Pujeau), die Dolmetscher einer italienisch-levantinischen Gemeinschaft in Konstantinopel (Christian Luca) sowie zwei Kaufmanns- und Schiffseigentümerfamilien in Dubrovnik (Gianluca Masi) im 16.–17. Jahrhundert eine frühneuzeitliche Sektion. In diesen Kontext würde auch der Beitrag von Andrea Fara über die italienischen Kaufleute im ungarischen Königreich vom 13. bis 16. Jahrhundert passen.

Einige kulturgeschichtlich orientierte Texte skizzieren den Kulturtransfer des griechischen Humanismus nach Italien (Christian Gastgeber in dem einzigen deutschsprachigen Aufsatz), die theologischen Begegnungen zwischenLateinernund Griechen im 14. Jahrhundert (Claudine Delacroix-Besnier), die Wahrnehmung der Union von Florenz 1439 bei Théodore Agallianos 1442 (Marie-Hélène Blanchet) sowie schließlich die religiösen, politischen und militärischen Aspekte des Konzils von Florenz (Benjamin Weber). Drei weitere Aufsätze gehen politischen und historiographischen Fragen nach: den Grenzen im venezianischen Teil der Halbinsel Morea (Peloponnes) im ausgehenden 15. Jahrhundert (Bernard Doumerc), dem Wirken des venezianischen Chronisten Lorenzo de Monaci in Kreta an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert (Şerban Marin) bzw. dem Verhältnis zwischen Sigismund von Luxemburg (1387–1437) und dem Patriarchat von Aquileia (Ioan-Aurel Pop).

Bereits aus dieser Auflistung geht deutlich hervor, dass unter dem BuchtitelItalien und Europas östliche Grenzediverse, zum Teil beliebig ausgewählte Themen subsumiert sind, die eher die Forschungsinteressen der einzelnen Autoren widerspiegeln als einem strengen Konzept entsprechen. Freilich: Alle am Sammelband beteiligten Historikerinnen und Historiker, die aus Frankreich, Italien, San Marino, Österreich, Bosnien, Kroatien und Rumänien kommen, verstehen ihr Handwerk gut und sind in ihren Fachgebieten ausgesprochen versiert. Die Bandbreite an Ansätzen ist beeindruckend und schließt diplomatische, theologische, historiographische wie politische, kulturelle, aber auch ökonomische Fragen ein. Da werden die einschlägig interessierten Leser ihre Freunde an den einzelnen Texten finden. Leider endet das Buch so, wie es beginnt: ohne jegliche Kontextualisierung der Forschungsperspektiven. Das ist ärgerlich, weil damit ein großes Potenzial verschenkt wurde.

Dariusz Adamczyk, Warschau

Zitierweise: Dariusz Adamczyk über: Italy and Europe’s Eastern Border. (1204–1669). Ed. by Iulian Mihai Damian / Ioan-Aurel Pop / Mihailo St. Popović / Alexandru Simon. Frankfurt a.M. [usw.]: Lang, 2012. 358 S. = Eastern and Central European Studies, 1. ISBN: 978-3-631-61857-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Adamczyk_Damian_Italy_and_Europes_Eastern_Border.html (Datum des Seitenbesuchs)

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