Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Chronikbeitrag aus: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 59 (2011) H. 1 S. 150-151

Verfasst von:Hartmut Rüß

 

Konferenz in Ekaterinburg 2010

Vom 15. bis 16. Okt. 2010 fand in den Räumen der Historischen Fakultät der Ural-Universität und der Ekaterinburger Belinskij-Bibliothek eine Konferenz zum Thema „Russland und der Westen in der Übergangsepoche vom Mittelalter zur Neuzeit (16. – 1. Hälfte 19. Jh.)“ statt. Das ambitionierte Projekt war nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass die Universität in diesem Jahr ihr 90-jähriges Bestehen feierte. Die Verantwortung für Programm und Organisation lag in den Händen von Dm. A. Redin, N. N. Baranov, V. A.Babincev und Ju. A. Rusina, die dabei von E. T. Artëmov, V. I. Bajdin, N. V. Bugrova, I. L. Mankova, L. N. Mazur, I. V. Poberežnikov, I. V. Po­čin­skaja, S. P. Postnikov, V. V. Ovčinnikova, V. P. Stepanenko und V. V. Vysokova unterstützt wurden, von denen die meisten auch mit eigenen Vorträgen beteiligt waren. Dieser personelle Aufwand für Organisation und Durchführung der Konferenz erklärt sich aus der extrem hohen Teilnehmerzahl von ca. 140 vortragenden Wissenschaftler(inne)n aus allen Teilen des Landes. In seiner Eröffnungsansprache wies der Rektor der Universität, Dmitrij V. Bugrov, selbst ausgewiesener Historiker, zu Recht darauf hin, dass die Geschichte im Grunde eine ununterbrochene Kette von „Übergängen“ (perechody) darstelle, andernfalls sie in Stagnation verharre. Solange allerdings der Begriff wissenschaftlich nicht eindeutig definiert ist, unterliegt seine zeitliche Ausdehnung bzw. Begrenzung einer gewissen Beliebigkeit, was den Teilnehmern mit Blick auf den diskussionswürdigen zeitlichen Rahmen des Konferenzthemas aber durchaus bewusst war. Im Übrigen befasste sich die erste der insgesamt fünf Sektionen sowohl theoretisch als auch anhand konkreter historischer Fallbeispiele mit diesem Phänomen. Auf Russland bezogen ist hier der grundlegende Beitrag „Der lange Übergang: das Problem der Chronologie des Übergangs Russlands vom Mittelalter zur neuen Zeit“ von Dm. A. Redin zu erwähnen. Titel der anderen Sektionen waren: „Staatliche Verwaltung und administrative Strukturen in der Übergangsepoche vom Mittelalter zur Neuzeit“, „Soziale Strukturen in Russland und Europa: historisch-vergleichende Analyse“, „Kulturelle Prozesse und Phänomene in der Epoche des Übergangs“, „Erfahrungen des imperialen Aufbaus in Russland und in den Ländern des Westens“. In dieser Sektion bildete das Britische Weltreich mit an die zwanzig Vorträgen einen deutlichen Schwerpunkt. Dass auch Russland in der Neuzeit ein Imperium war, ist weitgehend anerkannt; hier gibt es neuerdings bekanntlich Bestrebungen, eine „Imperialgeschichte“ als eigene Fachdisziplin zu begründen. Man wird indes kaum darin fehlgehen, dass das große Interesse auf der Konferenz an dieser Thematik mit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums ursächlich zusammenhängt. Die weitaus geringere Verbreitung der deutschen Sprache unter russischen Historiker(inne)n im Vergleich zur englischen mag erklären, dass deutsche Themen im weitesten Sinne eine eher marginale Rolle spielten, zu erwähnen sind etwa: „Zwischen Lehrstuhl und Schenke: Zur Frage der sozialen Natur des vormärzlichen Liberalismus in Deutschland“ (N. N. Baranov), „Der brandenburgische Adel und der Kampf um die Macht nach dem Tod des des Kurfürsten Georg Wilhelm von Hohenzollern“ (O. L. Šaklein), „Die Reise des Oberstleutnant Dankovskij nach Belgien und Deutschland 1858“ (V. A. Ljapin), „Die Legitimation der Macht mittels der imperialen Idee: Zeremonien des Einzugs (v-ezd) Karls V.“ (Ju. E. Komleva) oder „Die Politik des aufgeklärten Absolutismus im Habsburger Reich und in Russland: der institutionelle Aspekt“ (G. V. Ibneeva). Eine ganze Reihe von Vorträgen lag weit jenseits des vorgegebenen Zeitrahmens, wenn es etwa um „Die byzantinische und russländische Herrschaft: Probleme der Kontinuität“ (A. S. Kozlov), um aktuelle Immigrationsmodelle in Großbritannien und Frankreich (S. V. Fomenko) oder um den internationalen Finanzeinfluss Londons und Moskaus von der 2. Hälfte des 20. bis zum Beginn des 21. Jahr­hunderts (L. V. Nikitin) ging.

Dass sich auch die Ural-Universität in einer Umbruchs- und Übergangsphase befindet, war lebhaftes Gesprächsthema am Rande der Konferenz. Sie wird künftig durch Zusammenschluss mit der Ekaterinburger Technischen Universität zu einer von acht „föderalen“ Universitäten des Landes unterhalb der Universitäten in Moskau und St. Petersburg erweitert. Die Historische Fakultät kommt mit den Philologen und Kunstwissenschaftlern unter das Dach einer „Geisteswissenschaftlichen Fakultät“. Der nächste Rektor der dann nach Boris Jelzin (bisher: A. M. Gorkij) genannten Universität wurde nicht, wie bisher üblich, ge­wählt, sondern von der politischen Zentrale in Moskau bereits bestimmt.

Trotz der unvermeidlichen Tücken einer auf zwei Tage beschränkten Mammutveranstaltung kann der Berichterstatter dem abschließenden Resümee des Rektors Dmitrij Bugrov vorbehaltlos beipflichten, der die Konferenz als ein herausragendes wissenschaftliches Ereignis wertete, das zum Ausklang auf einem großen Bankett im Festsaal der Ural-Universität gebührend gefeiert wurde.

Hartmut Rüß, Münster/Westfalen

Zitierweise: Hartmut Rüß: Konferenz in Ekaterinburg 2010 in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. N.F. 59 (2011) H. 1, S. 150-151, http://www.oei-dokumente/JGO/Chronik/Rüss_Konferenzbericht_2010.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2011 by Osteuropa-Institut Regensburg and Hartmut Rüß. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact redaktion@osteuropa-institut.de