Neue mikroverfilmte Archivalien aus der Ukraine und den Vereinigten Staaten in der Bayerischen Staatsbibliothek

Im Zeitalter der Massendigitalisierung und des scheinbaren Zugriffs auf das gesamte Wissen der Welt per Suchmaschine im Internet mögen mikroverfilmte Archivalien wie Fossilien wirken. Tatsächlich aber werden immer noch neue Sammlungen aufgelegt, und nur ein sehr geringer Teil älterer Mikroformsammlungen wurde bisher digitalisiert.

Die Bayerische Staatsbibliothek hat daher ihre weltweit ohnehin zu den reichhaltigsten zählende Sammlung an mikroverfilmten Archivalien aus und über Osteuropa kontinuierlich ausgebaut. Entsprechend den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten „Sondersammelgebieten“ für die überregionale Literaturversorgung in Deutschland liegen die inhaltlichen Schwerpunkte dabei auf Politik- und Diplomatie-, Militär-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Zeitlich reichen die Materialien vom 17. bis in das späte 20. Jahrhundert.

Nach dem Abschluss der großen Verfilmung „Archives of the Soviet Communist Party and Soviet State1 und des aus kleineren thematischen Einheiten bestehenden Konkurrenzprodukts „Russian Archives“ (hier zuletzt vor allem Dokumente zur Militärgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts) kamen aus Russland kaum noch neue Archivalienverfilmungen. Doch konnte die Bayerische Staatsbibliothek in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe für die historische Forschung hochinteressanter kleinerer und größerer Verfilmungen aus ukrainischen Archiven erwerben. Diese lassen sich grob in drei Themenkreise aufteilen:

a. Deutsche Besetzung der Ukraine im Zweiten Weltkrieg: Hierzu liegen speziell aus dem Staatsarchiv des Gebiets Kiew über 500 Filmrollen vor, die z.B. die Tätigkeit der Kiewer Stadtverwaltung zwischen 1941 und 1943, Pressezensur, Guerillaaktivitäten, aber auch das Schicksal von ukrainischen Zwangsarbeitern in Deutschland dokumentieren.

b. Juden in der Ukraine bzw. im Russischen Reich: Der zeitliche Schwerpunkt dieser Sammlungen, die auch aus dem Zentralen Historischen Staatsarchiv in Lviv (Lemberg) stammen und über 250 Filmrollen umfassen, liegt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, wobei Unterlagen zur Diskriminierung und Verfolgung von Juden, zionistischen Aktivitäten und zur Emigration im Vordergrund stehen.

c. Politische Geschichte der Ukraine bzw. des Russischen Reichs: Neben Dokumenten zur russischen Geschichte aus dem Blickwinkel Kiews, z.B. zum Polnischen Aufstand von 1830/31 oder zur Ermordung des russischen Ministerpräsidenten Stolypin 1911, ist hier besonders die 158 Filmrollen umfassende Sammlung von Materialien des Zentralkomitees der Ukrainischen Kommunistischen Partei und des Ukrainischen Komsomol zur Hungersnot Anfang der 30er Jahre („Holodomor“) aus dem Zentralen Staatsarchiv der Massenorganisationen zu nennen.

Aus anderen osteuropäischen Ländern liegen außer einer Verfilmung von Veröffentlichungen und Manuskripten zu Alltagserfahrungen im kommunistischen Polen und Unterlagen zur Gewerkschaft Solidarność aus dem KARTA Center in Warschau keine vergleichbaren Sammlungen vor.

Einige Verfilmungen amerikanischer Akten zur osteuropäischen Geschichte konnten jedoch hinzugekauft werden. Somit sind, soweit verfilmt, alle Akten des US State Department zu den inneren Angelegenheiten osteuropäischer Länder (mit Ausnahme von Ungarn) bis 1963 in der Bayerischen Staatsbibliothek vorhanden; im Fall der Sowjetunion sogar bis 1969. Zudem konnten zuletzt die für die globale Geschichte des Kalten Kriegs höchst aufschlussreichen Verfilmungen der sog. „National Security Files“ und ähnlicher Bestände verschiedener amerikanischer Administrationen ergänzt werden, bis hin zu Unterlagen der George H. W. Bush-Administration zu den Themen „Moskauer Gipfel und die Auflösung der Sowjetunion“, „Bosnien und die Situation im früheren Jugoslawien“ sowie „Der Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands“ auf  insgesamt 42 Filmrollen.

Alle diese Verfilmungen sind im Katalog der Bayerischen Staatsbibliothek verzeichnet und über den OPAC zu bestellen. Eine zusätzliche Erschließung bietet das im Internet frei zugängliche „Verzeichnis der Mikroformen zur Geschichte in der Bayerischen Staatsbibliothek“ (http://www.bsb-muenchen.de/mikro/litten.htm), das die Materialien nach Provenienz geordnet nachweist. Ein Register (http://www.bsb-muenchen.de/mikro/litreg.htm) ermöglicht auch den Einstieg vor allem über Geographika. Eine besondere Entwicklung der letzten Jahre spiegelt sich auch bei den russischen und ukrainischen Verfilmungen wieder: Zu nahezu allen Sammlungen liegen die Findmittel inzwischen in elektronischer Form vor und können über die Hyperlinks im Mikroformverzeichnis aufgerufen werden. Damit erübrigt sich die vorherige Bestellung der gedruckten Findmittel; die Benutzer können sich vom Computer aus einen Überblick über den Inhalt der jeweiligen Verfilmung verschaffen und gezielt die gewünschten Filmrollen bestellen. Gerade bei der Nutzung über Bibliotheksfernleihe, die selbstverständlich für all diese Materialien innerhalb Deutschlands möglich ist, sollte dies eine deutliche Zeitersparnis bedeuten.

Ob es nun die Rechnungsbücher des Moskovskij Pečatnyj Dvor aus dem 17. Jahrhundert oder Akten des britischen Foreign Office zur Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 sind, ob ca. 100.000 Leserbriefe an die „Krestjanskaja Gazeta“ 1938–1939 oder amerikanische Konsulatsberichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aus osteuropäischen Städten – die Bayerische Staatsbibliothek hält einen außerordentlichen Fundus an Dokumenten zur osteuropäischen Geschichte bereit. Dass sie nicht gedruckt oder elektronisch, sondern auf Mikrofilm oder Mikrofiche vorliegen, sollte Forschung und Lehre nicht davon abhalten, Nutzen daraus zu ziehen.

Freddy Litten, München

Zitierweise: Freddy Litten: Neue mikroverfilmte Archivalien aus der Ukraine und den Vereinigten Staaten in der Bayerischen Staatsbibliothek, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, 57 (2009) H. 3, S. 470-471: http://www.oei-dokumente.de/JGO/Chronik/Litten_Mikrofilme_2009.html (Datum des Seitenbesuchs)

1Siehe http://www.bsb-muenchen.de/mikro/litup69.htm zu deren mittlerweile deutlich verbesserter Erschließung.